Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Österreich ist historisch belastet. Die alten Eidgenossen schenkten den Habsburgern keinen Meter und machten in Morgarten und Sempach kurzen Prozess. Rund 600 Jahre später trat der Kärntner Bauernsohn Franz Klammer aufs Parkett, brachte Österreich zurück ins Rennen – und setzte neue Massstäbe: Er gewann fünfmal den Disziplinen-Weltcup in der Abfahrt und ist mit 25 Siegen im Weltcup der bis heute erfolgreichste Speed-Spezialist geblieben.

Die Rivalität mit Bernhard Russi erreichte an den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck ihren Höhepunkt. Der Schweizer startete mit der Nummer 3, Klammer mit der 15. Der ganze Druck lastete auf dem Österreicher. Denn nach der Enttäuschung von Sapporo 1972, als Russi die Konkurrenz in Grund und Boden gefahren hatte, war nur Gold für die Alpenrepublik gut genug. «Wenn alles angerichtet ist und alles passt, zählt nur der Sieg», erinnert sich Klammer an die damalige Ausgangslage. Kurz vor dem Rennstart begegnete er Russi im Startgelände. Der Schweizer sagte: «Franz, ich wünsche dir viel Glück. Der Bessere soll gewinnen.»

Das Rennen am Patscherkofel wurde auch zu einer materialtechnischen Gewissensfrage. Ausrüster Fischer wollte, dass Klammer mit dem neuen «Loch-Ski» fährt. Doch der Favorit verzichtete auf Experimente und entschied sich für das herkömmliche Modell. Es war eine goldrichtige Entscheidung: «Ich wollte mir nie vorwerfen müssen, nicht alles für den Sieg gemacht zu haben. Deshalb fuhr ich von Beginn an am Limit. Wäre ich gestürzt, hätte ich immerhin die Gewissheit gehabt, alles riskiert zu haben.» Im Ziel lag Klammer 0,33 Sekunden vor Russi. «Der Patscherkofel hat mein Leben verändert», sagt er mit 46 Jahren Abstand. Seine Siegesfahrt habe er auf Video sicher schon tausendmal gesehen, so Klammer lachend. Ein Scheitern hätte er sich nicht verziehen: «Ich war 1975 und 1976 der dominierende Abfahrer. Hätte ich in Innsbruck nicht gewonnen, wäre dies eine furchtbare Enttäuschung gewesen.»

Beeindruckt war Klammer von der Reaktion Russis: «Im Zielraum war er mein erster Gratulant. Eine solch ehrliche und herzliche Reaktion von einem Konkurrenten habe ich vorher und nachher nie mehr erlebt – dabei hätte Russi meinen Sieg auch als schwere Enttäuschung wahrnehmen können. Schliesslich hatte er selber den Triumph in Griffnähe – und hätte als erster Skifahrer den Olympiatitel erfolgreich verteidigen können. Dass er mir dann so aufrichtig gratuliert, braucht grosse menschliche Klasse.»

Es war der Höhepunkt einer sportlichen «Beziehung», die 1970 begonnen hatte, ohne dass es Bernhard Russi bemerkt hätte. Der Urner stand damals an den Weltmeisterschaften in Val Gardena im Einsatz. Franz Klammer, der sechzehnjährige Nachwuchsfahrer, beobachtete das Rennen ehrfürchtig am Streckenrand – und geriet nach Russis Siegesfahrt in einen emotionalen Zwiespalt: «Als Österreicher ärgerte ich mich natürlich, dass Russi unseren Karl Cordin von der Spitze verdrängte. Gleichzeitig war ich von der Eleganz und der Technik des Schweizers schwer beeindruckt.» Zu einer persönlichen Begegnung kam es damals aber noch nicht: «Ich hätte nie gewagt, mit Bernhard Russi zu sprechen», sagt Klammer.

Zwei Jahre später betrat Klammer an gleicher Stelle selber das Weltcup-Parkett. Nach dem Sieg in der Europacup-Abfahrt in Bad Kleinkirchheim wurde er im März 1972 für den abschliessenden Weltcup-Riesenslalom in Val Gardena nominiert – und befand sich unvermittelt auf einer Stufe mit Bernhard Russi. Klammer erinnert sich: «Ich dachte wow, jetzt kann ich gegen die Weltbesten antreten.» Im Verlauf der Jahre habe sich eine Freundschaft zwischen ihm und Russi entwickelt, sagt Klammer. In die Quere gekommen seien sie sich eigentlich nie: «Wir haben uns gut ergänzt,» sagt Klammer lachend, «Bernhard war der Elegante, ich der Wilde.»

46 Jahre nach dem vielleicht besten Skirennen der Geschichte widmete SRF den beiden Giganten des Abfahrtssports einen ganzen Abend – mit dem Dok-Film «Klammer gegen Russi – das Rennen ihres Lebens» und anschliessend mit einem persönlichen Gespräch in der Talkshow «Gredig direkt». Wer ein grandioses Kapitel und zwei der spannendsten Persönlichkeiten der Sportgeschichte nochmals erleben will, für den gibt es am Abend vor der Eröffnung der Winterspiele in Peking keine Alternative. Einschalten ist Pflicht!