Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da wird die jüdische Kandidatin für ein Exekutivamt in der grössten Schweizer Stadt im noch immer als «linksliberal» geltenden Tages-Anzeiger porträtiert und interviewt, und zwar von einem Journalisten, der, was die publizistische Herkunft angeht, beim Thema Rassismus für viele wohl eher unverdächtig daherkommt.

Er entledigt sich der Aufgabe mit Hilfe von fragwürdigen Klischeebildern und verweist die Porträtierte mit seinen Fragen gleich auch noch in eine religiös-fundamentalistische Ecke. Nach zahlreichen teilweise heftigen Reaktionen, auch in dieser Zeitung, entschuldigt sich der Tagi-Chefredaktor etwas später.

Und nun wird der betreffende Journalist, der mir zugegebenermassen bis vor kurzem nicht bekannt war, ausgerechnet in der sonst diesbezüglich eher unverdächtigen Weltwoche vom Bruder (!) der Kandidatin als «der wohl talentierteste Jungredaktor im Grossraum Zürich» bezeichnet.

Um Beni Frenkel, den Verfasser des Weltwoche-Artikels, für diese Konstellation gleich selbst zu zitieren: «Mehr geht nicht.»

Möglicherweise findet sich der Grund für diese doch etwas überraschende Wortmeldung aber auch in einem Begriff, den man im Jiddischen als Daffke bezeichnet. «Etwas aus Daffke tun» bedeutet so viel wie etwas aus Trotz, erst recht machen, Gegenrede als Weltanschauung sozusagen.

Aber lassen wir Daffke mal auf der Seite und versuchen wir, fair zu sein: Es ist journalistisch sicher verständlich, dass für den Einstieg des Porträts von Sonja Rueff-Frenkel ein griffiges Bild gewählt wird. Möglicherweise ist das Bild der Sparkassen-Kundenberaterin, das der Journalist für Sonja Rueff-Frenkel gewählt hat, gar nicht einmal falsch. Bei der Formulierung «Sie und Ihr Mann sollen Millionäre sein» im Frageteil hätten, wenn nicht beim Journalisten selbst, dann aber zumindest bei der Person, die den Text gegengelesen hat (wovon ich eigentlich mal ausgehe), allerdings sämtliche Alarmglocken läuten müssen.

Das taten sie ebensowenig wie bei Beni Frenkel, der dem Berufskollegen für dessen weitere Fragen gleich pauschal den Koscher-Stempel ausstellt. Bemerkenswert, denn für mich ist der Tagi-Journalist böse in die Rassismus-Abseits-Falle getappt.

Mit der Gleichung «jüdisch=orthodox=rückständig» muss sich die Kandidatin nämlich zum Beispiel dafür rechtfertigen, dass sie sich für eine orthodoxe Mädchenschule einsetzt, in der, wie ja alle wissen, «konservative Geschlechtsbilder» vermittelt werden, was natürlich gar nicht geht.

Dass auch jüdische Bildungsinstitutionen sich an Lehrpläne halten müssen, scheint dem Frager ebenso unbekannt zu sein, wie er grundsätzlich von der Diskriminierung der jüdischen Frau ausgeht.

Für mich ist das darum Rassismus, weil es tradierte und zementierte Vorurteile in eine angeblich so kritische Haltung kleidet, von der ich vermute, dass der Tagi-Redaktor sie in einem anderen Setting wohl kaum an den Tag gelegt hätte. Dass kein Volk länger unter Ausgrenzung und Diskriminierung leidet als das jüdische, weiss man gerade auch in linken Kreisen. Im Zeichen von woke und der politischen Korrektheit wird es aber gerne ausgeblendet, «Juden sind nicht mitgemeint» titelte die NZZ in einem Artikel im April 2021, in dem es um eine Diversitäts-Diskussion ging, die offensichtlich immer seltsamere Blüten treibt.

Schwer vorstellbar, dass Beni Frenkel all diese Dinge nicht bekannt sind. Aber vielleicht wollte er mit seinem Artikel auch bloss die baldige Fasnacht einläuten.

Schliesslich feiern auch Jüdinnen und Juden so eine Fasnacht, sie heisst Purim.