Es gibt schon länger keine zwei Meinungen mehr: Pierin Vincenz, der gefallene Raiffeisen-Chef, hat betrogen, gelogen und die halbe Menschheit über den Tisch gezogen.

Der Bündner, der von den Medien noch vor einigen Jahren als Paradebeispiel des netten Bankers, quasi als Skilehrer unter den windigen Finanzjongleuren, gefeiert wurde und im Vorabendprogramm von Tele Züri an einem farbigen Drink nippen durfte, ist zum Inbegriff des gewinnsüchtigen Profiteurs geworden. Die Geschichte ist wie eine Mischung aus Wirtschaftskrimi und Realitysoap – und die Whistleblower spielen fröhlich mit: Jedes halbe Cüpli, das Vincenz im Nightclub getrunken oder spendiert haben soll, ist feinsäuberlich protokolliert, und selbst der dritte Vorname der brasilianischen Tänzerin gehört mittlerweile zum Allgemeingut.

Doch ist alles wirklich so simpel? Schaut und hört man genauer hin, mehren sich die Stimmen, die eine entscheidende Frage stellen: Sind die vermeintlichen Vergehen des Ex-Bank-Chefs strafrechtlich relevant?

Der Mann, der dies am besten einschätzen kann, ist Vincenz-Verteidiger Lorenz Erni. Der Anwalt aus dem Zürcher Kreis 4 gilt als renommiertester Strafverteidiger der Schweiz und hält die Medien bevorzugt auf Distanz. Er hat dafür gesorgt, dass sein Mandant nie öffentlich aufgetreten ist. Erni orientiert sich an einer alte Weisheit: Reden ist Silber, Schweigen Gold. Und im Gegensatz zur Anklage hat er sein Pulver garantiert noch nicht verschossen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Der Fall Vincenz ist ein Lehrstück der medialen Vorverurteilung. Genau das könnte für den Angeklagten zum Trumpf werden"
  • hampe2

    Der Gedanke dass da die Leitmedien eine gehörige Portion zum Verhslten von Vincenz beigetragen, ja geradezu gepusht haben, ich denke da an die Lobhudelungen über Jahre hinweg, und nun als "vierte Gewalt" im Staat sich nicht an die Gewaltentrennung hält, sagt auch viel über den Charakter einiger Chefredakteuren aus die mit ihrer Vorverurteilung ein Präjustiz für die Wiederlichkeiten der Presse manifestieren. So etwas nennt man ein weiteres Heuchlertum zu Ungunsten des Rechtsstaates.

  • garymh

    Was man allgemein als Unrecht und Untat ansieht, ist häufig und real gesehen strafrechtlich nicht relevant. Die Spesenexzesse von Herrn Vincent waren ja jahrelang "akzeptiert" und würden von höchster Stelle abgezeichnet. Die wilden Verstrickungen in "Investments" dürften juristisch eher Knacknüsse sein - wem ist welcher Schaden entstanden, und wer hat einen solchen eingeklagt?

  • Rolf Kielholz

    Eine weitere Frage steht im Raum: Wie kam eigentlich die von mir hochgeschätzte HELVETIA-Versicherung dazu, diesen unsäglichen Selbstdarsteller seinerzeit zum VRP zu nominieren. Dies, nachdem ein absoluter Top-Mann wie Erich Walser - er verstarb leider innert kürzester Zeit an einer schweren Krankheit - diese Unternehmung während Jahren zu einer Vorzeige-Gesellschaft führte.