Nutze die Schwierigkeit.

Michael Caine

 

Banja Luka

 

Es ist früher Morgen. Ich sitze in einem Hotelzimmer in Banja Luka. Das ist die Hauptstadt der Serbischen Republik in Bosnien. Als wir von Kroatien über die Grenze fuhren, fielen mir die intensiven Kontrollen und Warteschlangen der Lastwagen auf. Offensichtlich ist der harzige Grenzverkehr Ausdruck nach wie vor gestörter Beziehungen. Das geht auf den Jugoslawienkrieg zurück. An der kroatisch-bosnischen Grenze stehen noch die Türme alter Gefangenenlager, die von den Serben als Konzentrationslager bezeichnet werden. Als Serbiens Präsident Vucic hier kürzlich einen Kranz niederlegen wollte, erzählt mir unser Fahrer, hätten ihm die Kroaten die Einreise verweigert.

Was können wir als Schweizer froh sein, dass uns solche fürchterlichen Erfahrungen erspart geblieben sind. Als ich den Gespenstern des Balkans nachsinne, erreichen wir die Hauptstadt der Serbischen Republik, einer teilautonomen Region im Vielvölkerstaat Bosnien mit seiner stark muslimisch geprägten Kapitale Sarajevo. In Banja Luka steht an zentraler Stelle die wiedererrichtete orthodoxe Kathedrale. Mächtig und schön beleuchtet, erhebt sie sich an diesem lauen Spätsommerabend. Sie war im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Trümmer stehen als Mahnmale davor. Es gibt aber auch, nicht weit von hier, eine Moschee für die Muslime, ebenso eine jüdische Synagoge. Und auch die Katholiken haben ihr eigenes Gotteshaus. 

Menschen sind auf den Gassen. Viele Familien flanieren. Strassenmusiker spielen vor Kindern. Die Architektur ist österreichisch-wienerisch geprägt. Die k. u. k. Monarchie führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hier die Regie. Es gibt Kaffeehäuser und sogar eine «Herrengasse», die dem Wiener Vorbild nachempfunden ist. Im Unterschied zu Belgrad, wo ich Anfang Woche war, ist Banja Luka einfacher, ländlicher geprägt. Im kollektiven Unterbewusstsein der Westeuropäer gilt die «Republika Srpska» seit dem Jugoslawienkrieg als «Herz der Finsternis» des Balkans. Von hier aus wirkten der später als Kriegsverbrecher verurteilte Politiker Radovan Karadzic und dessen militärischer Helfer Ratko Mladic. 

Unterhält man sich hier mit den Leuten, fällt das Urteil differenzierter aus. Mit Karadzic scheinen rückblickend wenig Sympathien verbunden zu sein. General Mladic wird dagegen differenzierter beurteilt. Darüber werde ich mich heute mit dem aktuellen Präsidenten der Serbischen Republik, Milorad Dodik, unterhalten. Früher war der hier als klug und empathisch gelobte Politiker ein Favorit des Westens. Mittlerweile haben die Amerikaner und die EU weniger Freude an ihm, weil er sich zusammen mit Serbiens Präsident Vucic die Freiheit herausnimmt, nicht allen Direktiven aus dem Westen widerspruchslos zu folgen. Dodik geniesst hohes Ansehen bei Spitzenpolitikern, die in einer ganz anderen Gewichtsklasse spielen als er. Rund dreimal im Jahr trifft er den russischen Präsidenten Putin. Ein enger Vertrauter ist der türkische Staatschef Erdogan. Im Brics-Verbund spielt die Serbische Republik, obwohl kein Staat, eine anerkannte Rolle. 

Aber eigentlich wollte ich an dieser Stelle noch einmal über Deutschland schreiben und warum ich weniger pessimistisch bin als viele andere. Deutschland bewegt sich. Die deutschen Medien sehen es zu negativ. Überall stürzen Lebenslügen ein. Die Demokratie steht nicht am Abgrund. Im Gegenteil. Dank neuen Parteien herrscht mehr Auswahl und Vielfalt, mehr Demokratie. Das fordert die Platzhirsche heraus, die es sich an der Macht allzu gemütlich eingerichtet haben. Ohne Erneuerung wird es nicht gehen. Der Aufstand der Wähler zwingt die Eliten, ihre als abgehoben empfundene Agenda wieder näher an die Lebenswirklichkeit der Deutschen zu rücken. Selbst die schlechten Wirtschaftsnachrichten haben ihr Gutes: Sie zeigen, dass es so nicht weitergehen kann.

Eben gab es einen Doppelrücktritt an der Grünen-Spitze. Mutmasslich wird jetzt Robert Habeck das Zepter übernehmen. Das ist eine Chance. Dem Wirtschaftsminister bietet sich die Möglichkeit, seine Partei, ein Sammelsurium von Studienabbrechern und Berufspolitikern, neu auszurichten. In der Schweiz spalteten sich die Grünliberalen von den Grünen ab. Vielleicht gelingt es Habeck, eine ähnliche Entwicklung in Deutschland zu verhindern. Indem er von sich aus die Grünen liberaler und konservativer, sprich: weniger ideologisch und sozialistisch, macht. Hier zeigt sich übrigens ein grosses Problem nicht nur der deutschen Politik: Es fehlt in den Parlamenten an Leuten mit Berufserfahrung. Darauf weist in dieser Ausgabe auch Deutschlands früherer Bundeskanzler Gerhard Schröder hin. Wir dokumentieren das grosse Gespräch letzte Woche vor vollem Saal im «Dolder Grand» auf dem Zürichberg.

Sollten die Grünen etwas liberaler werden, könnte sich die FDP wieder stärker auf ihre konservativen Traditionen besinnen. In Brandenburg landeten die Liberalen noch hinter der Tierschutzpartei in der Wildnis des Vergessens. Christian Lindner hat sich im letzten Bundestagswahlkampf als salonfähige Alternative zur AfD verkauft, aber in der Ampel nicht geliefert. Seine Strategie, die FDP wieder cool zu machen und mit schneidigen Reden zu punkten, hat in der reinen Oppositionsrolle funktioniert. Einmal an der Macht allerdings, wurde die Lindner-FDP gewogen und für zu leicht befunden. Vermutlich ist es keine schlechte Idee, wenn auch diese Partei sich künftig weniger am Zeitgeist als an den ewigen Werten von Freiheit und Eigenverantwortung orientiert. Bei aktuellen Asylabstimmungen im Bundestag ist davon aber noch eher wenig zu sehen. Da stimmten die Liberalen mit den Linken gegen Anträge der CDU. 

«Nutze die Schwierigkeit»: So bezeichnete der britische Schauspieler Michael Caine sein berufliches Erfolgskonzept. Man muss das Negative als Hebel nehmen, um das Positive hervorzubringen. Schlechte Nachrichten sind immer auch gute Nachrichten, weil sie das Problembewusstsein schärfen. Nutze die Schwierigkeit: Schlechte Zeiten produzieren bessere Politiker. In der Krise offenbart sich die Qualität.