Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dokumentiert, so gut es geht, die Kriegsverbrechen in der Ukraine.

Bei einem Angriff der russischen Soldaten mit Raketen auf einen offenen Platz inmitten der ostukrainischen Stadt Tschernihiw am 3. März konnten die Menschenrechtsexperten «kein legitimes militärisches Ziel identifizieren».

Hinter dieser Formulierung steckt ein Problem, das den professionellen Kriegsbeobachtern bewusst ist, in der Berichterstattung jedoch meist unter den Tisch fällt: Krieg ist grausam, zivile Opfer sind das Grausamste, was es gibt, so lautet der einhellige Tenor. Doch wer ist ein ziviles Opfer?

Die Idee der «zivilisierten» Kriegsführung stammt aus der Haager Landkriegsordnung des Jahres 1899 und beruht auf der Vorstellung, dass Kriege in Schlachten auf dem offenen Feld geführt werden. Eine solche Aufstellung ist jedoch für die hoffnungslos unterlegene ukrainische Armee keine Alternative. Sie muss den Häuserkampf suchen, wo jedes Gebäude eine Befestigung ist und der Rückhalt der Bewohner die Kampfmoral noch stärkt.

Die Kehrseite: Ein Gebäude, in dem sich Soldaten verschanzen, ist kein ziviles Haus mehr, sondern ein militärisches Ziel. Das Gleiche gilt für Gebäude, in denen Stadtbewohner in ihrer Verzweiflung Molotowcocktails herstellen: Es wird zum legitimen Angriffsziel. Das gilt genauso für Büros, in denen Rekruten registriert werden, es gilt für Fabriken, die gestern noch Schienen, heute aber Munitionshülsen herstellen. Ja, es gilt sogar für Telekom-Betreiber, deren Netz mit einem Mal für die militärische Kommunikation genutzt wird.

All diese plötzlich militärischen Ziele liegen in der Regel nicht ausserhalb der Städte, sondern bestenfalls in Gewerbegebieten, manchmal aber auch mittendrin. Dahinter steckt keine hinterhältige militärische Strategie, sondern die Überlegung, dass die Standorte im Frieden schlicht praktischer zu erreichen sind. Im Kriegsfall allerdings wird das zum Problem.

Noch schwieriger wird es, wenn die Ukraine am Ende Zivilisten bewaffnet und damit zu Kämpfern macht. Sie sind deswegen noch keine Soldaten, sondern können von ihren Feinden als Partisanen angesehen werden und unterliegen gar keinem Schutz mehr.

Klar wird damit: Die Unterscheidung zwischen zivil und militärisch ist in einem Krieg, in dem Militär und Zivilgesellschaft gemeinsam auftreten, kaum durchzuhalten. Vor allem dann nicht, wenn die Ukraine alle Ressourcen für ihre Verteidigung nutzt, Russland aber nur mit seinen Soldaten in das Land eindringt. Schon diese Asymmetrie führt dazu, dass zivile Opfer zuallererst auf ukrainischer Seite zu beklagen sind.

Ganz gleich allerdings, ob zivil oder militärisch: Jedes Opfer ist eines zu viel.