Die deutsche Bundestagspräsidentin Bärbel Bas war mutig: Am 27. April, als in Israel der Ermordung von sechs Millionen Juden gedacht wurde, war sie an der Gedenkzeremonie in der Knesset dabei.

Die Geste der Anteilnahme haben viele geschätzt, weil sie wissen: Der Besuch war für die Repräsentantin der deutschen Legislative angesichts der Geschichte keine leichte Sache.

Aber Ofir Akunis, ein Oppositionspolitiker und ehemaliger Minister im Kabinett von Benjamin Netanjahu, gab Bas unmissverständlich zu verstehen, dass er ihre Anwesenheit nicht schätze. Während der Zeremonie sagte ihr Akunis laut und deutlich: «Ich vergesse nicht, ich vergebe nicht, und ich werde diesen Akt des puren Bösen niemals verzeihen.»

Auch wenn man angesichts des Grauens die dreifache Weigerung nachvollziehen kann: Sie ist aus mehreren Gründen falsch und gefährlich zugleich.

Es gibt erstens keine deutsche Alleinschuld am Holocaust: Die Nazis wären ohne Mittäter nie in der Lage gewesen, ihren diabolischen Plan durchzuführen, die Juden auszurotten. Dazu waren sie auf willige Helfer angewiesen. Sie fanden sie vor allem in Polen und in der Ukraine.

Wer nur Nazi-Deutschland als schuldige Täter brandmarkt, entlastet zweitens alle anderen in Europa, die diesen Genozid unterstützt oder nicht verhindert haben.

Das «Nicht-verzeihen-Wollen» impliziert drittens eine Kollektivschuld der Deutschen: Bärbel Bas ist 23 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf die Welt gekommen, im Mai 1968. Ihr den Holocaust nicht verzeihen zu wollen, ist realitätsfremd, um nicht zu sagen lächerlich.

Eli Wiesel, ein unverdächtiger Zeitzeuge, brachte das vor zehn Jahren bei einem Kongress in Auschwitz auf den Punkt: Er habe nie an eine Kollektivschuld geglaubt: «Die Kinder der Mörder sind keine Mörder, sondern Kinder.»

Die Behauptung der deutschen Alleinschuld lässt sich viertens als historische These nicht halten. Die Geschichte, auch diejenige des Holocaust, ist zu komplex, als dass sie mit dem Verbrechen einer einzigen Person oder einer einzigen Nation erklärt werden könnte.

Wer von sich behauptet, er könne «den Deutschen» nicht verzeihen, begegnet ihnen fünftens nicht als Individuen, sondern pauschalisiert ein ganzes Volk. Damit steigt er auf das Niveau jener herab, die nur von «den Juden» sprechen und ihnen damit jede Individualität aberkennen. Das war die Denkweise von Adolf Hitler, die ins Verderben geführt hat. Es wäre auch für Israels Opposition an der Zeit, sie zu überwinden.

Und sechstens anzuerkennen, dass sich Deutschland seiner historischen Verantwortung stellt, als einziges Kriegsland die Geschichte aufgearbeitet hat und versucht, aus dem Verbrechen von damals Lehren zu ziehen. Wobei es damit, wohl in einer Überreaktion, mit dem Pazifismus mitunter fast etwas zu weit geht.