Krieg mit Frauen ist der einzige, den man durch Rückzug gewinnt.

Napoleon Bonaparte

Sanija Ameti stürmte die Bühne in einer Jacke des Kampfanzuges 90. Und zündete gleich die erste Granate: «Sie, Herr Köppel, mit Ihrer Weltwoche, sind die fünfte Kolonne Putins in der Schweiz. Sie sind der Feind im Innern. Sie sind der Feind, der unsere Freiheit angreift, und entsprechend werden Sie auch behandelt.»

Die Szene ereignete sich am Samstag vor einer Woche in der Kaserne Bern, wo die bürgerliche Polit-Organisation Pro Schweiz ihre Jahresversammlung durchführte. Juristin Ameti war als Präsidentin der linken Operation Libero zu einer Podiumsdiskussion über die Schweizer Neutralität geladen. Und trat auf, als hätte sie ihr Studium beim deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1985) abgeschlossen.

Ausrutscher einer Nachwuchspolitikerin

Schmitt, bekannt als «Kronjurist des Dritten Reichs», ein brillanter Intellektueller, der sich tragischerweise den Nazis andiente, hielt das Denken in den Kategorien «Freund» und «Feind» für die «spezifische politische Unterscheidung». Und was mit Feinden geschieht, gerade in kriegerischen Zeiten, liegt auf der Hand. SVP-Nationalrat Roger Köppel, der Verleger und Chefredaktor dieser Zeitung, durfte Ametis geraunte Worte, vorgetragen im Kampfanzug, durchaus als Drohung verstehen.

Man mag die Episode als Ausrutscher einer ehrgeizigen, vielleicht übereifrigen Nachwuchspolitikerin abtun. Ameti, 31, einst als Flüchtlingskind aus Bosnien in die Schweiz gekommen, wirkt in der Stadt Zürich als grünliberale Gemeinderätin. Seit sie im Herbst 2021 an die Spitze der Operation Libero trat, findet sie sich plötzlich auf der nationalen Bühne wieder – womöglich zu ihrem eigenen Erstaunen. Ihre verbale Entgleisung, die so schlecht zur schweizerischen Demokratie passen will, ist trotzdem interessant, weil sie ein Schlaglicht auf ein neues Phänomen wirft, das wir hier als «aufgeklärten Militarismus» bezeichnen wollen.

Geradezu idealtypisch vertritt Aussenministerin Baerbock diesen aufgeklärten Militarismus.Die Vertreter dieser Geisteshaltung nehmen für sich in Anspruch, die Abgründe des «militärisch-industriellen Komplexes» (US-Präsident Dwight Eisenhower) genau zu kennen. Oftmals haben sie in der Vergangenheit sogar eine gemässigt pazifistische Politik unterstützt. In Zeiten einer angeblich existenziellen Bedrohung der eigenen Zivilisation, wie sie Russlands Präsident Wladimir Putin verkörpern soll, schalten sie jedoch ohne Federlesens in den Angriffsmodus. Eben noch wollte Ameti eine «liberale und gerechte Gesellschaft» fördern. Jetzt macht sie mobil gegen den «Feind im Innern», der «entsprechend» behandelt werden soll.

Baerbocks Panzer

Geradezu idealtypisch vertritt die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock diesen aufgeklärten Militarismus. Ihre Partei, die Grünen, entstand aus der deutschen Friedensbewegung. In ihrem Programm für den Bundestagswahlkampf 2021 forderten die Grünen einen «neuen Schub für Abrüstung». Sie versprachen, «keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete» zu exportieren. Das Nato-Ziel, 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung zu investieren – vertraglich vereinbart 2014, als Russland die Krim annektierte –, sei keine Antwort auf die geostrategischen Herausforderungen. Heute marschiert Deutschland im Gleichschritt mit der Nato, schickt Panzer in das ukrainische Kriegsgebiet, und Aussenministerin Baerbock erklärt Russland den Krieg («Ja, wir müssen mehr tun, denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland»).

Ähnlich wandlungsfähig zeigten sich die abgewählten Ministerpräsidentinnen Sanna Marin (Finnland) und Magdalena Andersson (Schweden), beides Sozialdemokratinnen. Ihre Parteien unterstützten lange Zeit die Bündnisfreiheit. Sowohl die Finnen als auch die Schweden waren stolz auf diese Tradition. Die Ikone der schwedischen Sozialdemokraten, der 1986 ermordete Olof Palme, hatte sein Land deswegen sogar zur «moralischen Grossmacht» erklärt. Im Frühling 2022 beerdigten Marin und Andersson die Politik des Abseitsstehens und beantragten die Nato-Mitgliedschaft.

Buebetrickli mit der Neutralität

Die Beispiele zeigen: Unter den aufgeklärten Militaristen finden sich erstaunlich viele Militaristinnen. Wir müssen uns wohl oder übel von der Illusion verabschieden, Frauen seien von Natur aus friedfertiger als Männer. Die Wissenschaft zweifelte schon länger daran. Die Studie «Queens», erschienen 2020 an der Universität Chicago, kam zum Schluss: Verheiratete Königinnen, die zwischen 1480 und 1913 regierten, waren eher in Kriege involviert als verheiratete Könige. Eine andere Studie wies für die Zeit von 1970 bis 2000 nach: Wenn Frauen regierten, war das Verteidigungsbudget und die Zahl bewaffneter Konflikte höher.

Dass Frauen durchaus kampfeslustig sind, zeigt auch ein Blick nach Bern ins Bundeshaus. Irène Kälin von den Grünen reiste im April 2022 als Nationalratspräsidentin medienwirksam nach Kiew, obwohl ihr die Bundespolizei von der Stippvisite abgeraten hatte. Kälin betonte, sie habe die Einladung nicht abschlagen können. Schliesslich handle es sich hier um einen Angriff auf Europa. Trotzdem bleibe sie Pazifistin.

Die Aargauer FDP-Nationalrätin Maja Riniker schlug ohne Absprache mit Parteichef Thierry Burkart vor, Schweizer Panzer ins Ausland zu verkaufen, damit diese von dort aus in die Ukraine geschickt werden können. Ein Buebetrickli, um die Neutralität der Schweiz angeblich zu wahren, vollführt von einer Frau. Riniker: «Wenn wir der Ukraine helfen wollen, müssen wir auch Waffen ins Ausland liefern können.»

Oder nehmen wir Nationalrätin Marianne Binder-Keller, ebenfalls aus dem Aargau. Sie gehörte lange zu den umgänglichsten Persönlichkeiten im Bundeshaus. Doch seit in der Ukraine der Krieg tobt, hat sie die Lady Macbeth in sich entdeckt. Ihre gewünschte Medienpolitik orientiert sich an der Zensur-Praxis von Diktatoren: «Wann unterbindet der Bundesrat endlich die Propaganda und Desinformation russischer Sender in der Schweiz im Interesse der allgemeinen Sicherheit?» Auf Twitter erklärt sie nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms: «Das russische Regime verursacht die grösste von Menschenhand verursachte Katastrophe seit Dekaden.» Wer es wagt, solche Aussagen als unbelegt zu bezeichnen, wird als «Putin-affin» gebrandmarkt. Dabei will sich selbst die US-Regierung auf keine Täterschaft festlegen.

Die Neutralität erscheint in Amherds Reden höchstens noch als lästige Folklore.Binders Parteikollegin im Bundesrat, die Walliserin Viola Amherd, macht keinen Hehl mehr daraus, dass sie die Armee in Richtung Nato treiben will. Die Neutralität erscheint in ihren Reden höchstens noch als lästige Folklore. Beim Ausflug der Mitte-Fraktion nach Salgesch von vergangener Woche sagte sie zum wiederholten Mal, die Schweizer Position werde in Europa nicht verstanden. Dass es ihr Auftrag wäre, diese Position zu erklären, und sie an dieser Aufgabe offenbar scheitert – auf diese Gedanken scheint Amherd gar nicht zu kommen. Schliesslich steht sie auf der angeblich richtigen, aufgeklärten Seite der Geschichte. Diese selbsteingeredete Gewissheit hat den praktischen Nebeneffekt, dass sich jedes Hinterfragen erübrigt.

«Ich bin bereit»

Viele Politikerinnen gehen im Kampf gegen Russland inzwischen bis zum Äussersten, zumindest verbal. Liz Truss wurde in ihrer kurzen Amtszeit als britische Premierministerin gefragt, ob sie eine Atombombe nach Russland feuern würde. Ungerührt antwortete sie vor laufenden Fernsehkameras: «Ich bin bereit, das zu tun.»

Sanija Ameti zeigt sich nach ihrem markigen Auftritt in Bern etwas kleinlauter. Das Tragen von Uniformen der Schweizer Armee ist Zivilisten untersagt. Die Operation Libero sammelt nun Geld, um eine allfällige Busse ihrer Präsidentin zu begleichen. Das ist der blinde Fleck des aufgeklärten Militarismus: Die Rechnung zahlen immer die anderen. Zum Beispiel die Ukrainer, die auf kein baldiges Ende dieses Kriegs hoffen dürfen.