Am Ende des Kalten Krieges war unser Land weltweit der Inbegriff von Solidität, Verlässlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Unparteilichkeit und Humanität. Unsere Wirtschaft war fest in schweizerischer Hand, ein Bollwerk der Stabilität mit riesigen stillen Reserven, deren Wert oft die Bilanzsumme überstieg. Anders als Olof Palmes Schweden, das sich als moralischer Scharfrichter aufspielte (und damit allen auf die Nerven ging), äusserte sich der Bundesrat höchst selten zum Weltgeschehen, und wenn, dann sehr zurückhaltend. Dafür waren wir eine humanitäre Grossmacht, weltweit mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz identifiziert, dessen Delegierte alle den Schweizer Pass besassen. Skrupellose Geschäftemacher missbrauchten schon damals das Bankgeheimnis und die Neutralität, etwa im Fall des südafrikanischen Apartheidstaates. Doch insgesamt war die Schweiz ein Leuchtturm und in fast jeder Hinsicht eine Referenz in der Welt.

Zeitgleich mit dem Mauerfall ging die Weltkriegsgeneration in Pension. An ihre Stelle traten die 68er, die seit einiger Zeit ihren Weg durch die Institutionen beschritten hatten. Ihr Wertekanon war so ziemlich das Gegenteil desjenigen der abtretenden Generation. Es ging ihnen ums Dazugehören (etwa zur EU und zur Nato), ums Anpassen und Gleichmachen, ums rasche Geld und um Grössenwahn statt diskrete Solidität. Die Schweiz war und ist diesen Leuten zu klein und zu eng, ihre Tugenden hinterwäldlerisch, die Neutralität ein ärgerliches Korsett, das Mitmachen und Dazugehören verhindert. Unter der Ägide dieser Generation schaffte sich die Schweiz in Raten ab.

Die Schweiz schafft sich in Raten ab. Die Welt erkennt die Schweiz nicht wieder.

Mit der Aktienrechtsrevision von 1992 wurde die Übernahme und Kontrolle der grossen schweizerischen Unternehmungen durch mehrheitlich angelsächsisches Kapital eingeleitet. Die amerikanische Abzockermentalität hielt Einzug, der Shareholder-Value wurde auch bei uns zum Mass aller Dinge, stille Reserven wurden aufgelöst und unter die neuen Aktionäre verteilt, manche Traditionsfirma (z. B. Hero) ausgehöhlt und ihre Produktion eingestellt. Eines der ersten Opfer des eigenen Grössenwahns wurde 2001 die Swissair, ehedem als «fliegende Bank» bezeichnet. SP-Verkehrsminister Moritz Leuenberger versetzte ihr zusammen mit UBS-Chef Marcel Ospel den Todesstoss, indem die beiden im Duett verkündeten, keinen Rappen zu ihrer Rettung ausgeben zu wollen. Das Ausland rieb sich verwundert die Augen; mehrere Staatsoberhäupter und andere hohe ausländische Funktionsträger, die zu den Stammkunden der Swissair gezählt hatten, wurden Opfer des Groundings. Am unbescheidenen Zürcher «Unique Airport» wurde es einzigartig still. Der Ruf der Schweiz wurde nachhaltig erschüttert.

Lehren aus dem Ikarus-Desaster wurden keine gezogen. Die Swissair war nicht so sehr an eigenem Unvermögen als an demjenigen zahlreicher ausländischer Gesellschaften zugrunde gegangen, die sie zusammengekauft hatte. Ospels UBS machte es ihr nach und ging in den USA auf Grosseinkauf. Genau sieben Jahre nach dem Swissair-Grounding musste die UBS vom Bund gerettet werden. Die Nationalbank belehnte Milliarden von wertlosen Schrottpapieren, die die UBS in ihrer Gier in den USA zusammengekauft hatte. Danach fielen die Grossbanken und in der Folge die meisten schweizerischen Blue Chips unter ausländische Kontrolle und Führung. Schweizerinnen und Schweizer wurden im Management dieser Multis zu Exoten. Die schweizerische Identität und das Engagement der Unternehmensspitzen zugunsten unseres Landes verschwanden, nicht aber deren Druck auf unsere Regierung, etwa zur Unterordnung unter den Willen von EU und USA.

So waren es namentlich die ausländisch beherrschten Grossbanken, welche den Bundesrat drängten, neutralitätswidrig die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen. In der Folge wurden rechtsstaatliche Prinzipien mit Füssen getreten, wurde Menschen allein aufgrund ihrer Herkunft und ohne jegliche Rechtsmittel der Zugriff auf ihr Eigentum verwehrt. Politiker – auch bürgerliche – forderten gar ihre Enteignung. Die vorsorgliche Zwangsabwicklung der Credit Suisse (CS) qua Diktat aus Washington, Paris und London war ein weiterer Sargnagel für unseren einstigen Rechtsstaat. Zugrunde gerichtet wurde die CS wesentlich durch den Amerikaner Brady Dougan; den Todesstoss gab ihr eine Äusserung der Saudi National Bank, ihres Hauptaktionärs. Nur der Schaden bleibt an uns hängen. Die Welt erkennt die Schweiz nicht wieder.

Herodot ist ein der Redaktion bekannter Weltreisender, seit Jahrzehnten wissenschaftlich und politisch tätig, unter anderem für die Uno.

Die 3 Top-Kommentare zu "Die Schweiz schafft sich in Raten ab. Die Welt erkennt die Schweiz nicht wieder"
  • teresa.hasler

    Genau so war und ist es, wie Sie es schreiben. Die Schweiz wird aufgerieben zwischen den Mächten und Politiker ohne Rückgrat lassen es ohne Widerstand geschehen.

  • x99

    hm, ja da hat er wohl recht und es wird noch dicker kommen. Die einst so wohlgenährte Schweiz wird zu einem ab klatsch des '80 er Jahre Albanien. Hoffnung? Keine. Wir haben einem Idioten erlaubt unsere Neutralität, welche immerhin 200 + Jahre gedauert hat, in gerade mal weniger als 5 min abzuschaffen. Jetzt dieses CS Husch-Husch pendant zur Swissair , es wird dann im Nachhinein rauskommen dass eigentlich keinen Handlungsbedarf bestanden hat. Das Ganze? Zum Kotzen!

  • max.bernard

    Zutiefst bedauerlich, was Herodot hier schreibt, aber leider auch Satz für Satz richtig. Tatsächlich ist die Schweiz nur noch eine Karikatur ihrer selbst, ein Staat am Gängelband der USA und EU. Zuschanden geritten von Machtopportunisten, Politkarrieristen und Profitsüchtigen. Leider ist aufgrund der Passivität des Schweizer Volkes kein Hoffnungsschimmer auf eine Rückkehr zu den bewährten Werten am Horizont zu erkennen. Weshalb unser Land als Spielball der USA und EU enden wird.