Das ist wohl die feine französische Art, Witze zu machen: «Was meine Nachfolge angeht: Sie haben möglicherweise bemerkt, dass in unserem Land das Rentenalter angehoben wird. Das ist sehr en vogue.» Sagt Bernard Arnault, im Augenblick reichster Mann der Welt mit einem Vermögen von rund 238 Milliarden Dollar; es fusst auf seiner Mehrheitsbeteiligung an Louis Vuitton Moët Hennessy LVMH, der grössten Luxusgruppe überhaupt und wertvollsten Firma Europas (Marktbewertung knapp 437 Milliarden).

Der Witz? Seit Präsident Emmanuel Macron verfügte, dass Französinnen und Franzosen bald bis 64 arbeiten müssen (statt bis 62), herrscht Volksaufstand im Land der Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit. Wohingegen der 74-jährige Arnault vergangenes Jahr die Altersguillotine chez LVMH ohne viel Lärm von 75 auf 80 verschob – für den obersten Chef, ihn selbst also.

Die anderen Reizworte in seinen erwähnten Sätzen: «Meine Nachfolge». Immer wenn ein Über-Unternehmer im, sagen wir, Herbst seines Lebens diese ausspricht, entwickeln Anleger, Finanzanalysten, Journalisten und weitere Kaffeesatzleser Fantasie. Besonders wenn der Übervater fünf Kinder zwischen 48 und 25 hat, die alle im Familienunternehmen mitarbeiten.

Wie in der TV-Serie «Succession»

Man möchte die redensartige Fliege an der Wand sein, wenn das Familienoberhaupt und sein Nachwuchs zusammenkommen. Oder wenigstens durchs Schlüsselloch in den Salon lugen dürfen, in dem sie sich treffen. Was nun, sozusagen, ein Informant des Wall Street Journal, der amerikanischen Wirtschaftszeitung von Rupert Murdoch, tun konnte.

Einmal im Monat lädt Arnault seine einzige Tochter Delphine, 48, deren Bruder Antoine, 45, und ihre drei Halbbrüder, Alexandre, 31, Frédéric, 28, sowie Jean, 25, zum Mittagessen am schicken LVMH-Hauptsitz an der Pariser Avenue Montaigne; Delphine und Antoine sind Kinder aus seiner ersten Ehe (mit der Französin Anne Dewavrin), 1991 heiratete er Hélène Mercier, eine kanadische Pianistin.

Zweck der réunion sei weniger Verpflegung und Austausch von Nettigkeiten als ein Abfragen der Jungen. Während neunzig Minuten gehe Bernard, iPad in der Hand, um den Tisch von Kind zu Kind und verlange Antworten auf die drängendsten Fragen betreffend Entscheidungen im Luxusreich, in dem die Sonne nicht untergeht. Um herauszufinden, wer in Frage kommt für die Spitze oder wenigstens die Hausaufgaben gemacht hat.

Eine Zeitlang vermuteten Beobachter, Antoine, der älteste Sohn, sei Vaters Liebling. «The son (of Arnault) also rises», wortspielte die Financial Times 2010, als Antoine den Auftrag bekam, aus der zur Gruppe gehörenden Schuhherstellerin Berluti eine Marke mit ähnlicher Ausstrahlung wie die (ebenfalls zur Gruppe gehörende) Marke Dior zu machen. Antoine gab dafür 100 Millionen Euro aus, in der Folge stiegen die Verkäufe um 90 auf 135 Millionen jährlich. Der Vater und seine Aktionäre konnten es sich leisten, für eine gute Note im Zeugnis des Sohns reichte es aber wohl nicht.

Während neunzig Minuten gehe Bernard, iPad in der Hand, um den Tisch und verlange Antworten.

Antoine, der im privaten Leben wohl Freude bereitet – er ist verheiratet mit dem russischen Model Natalja Wodjanowa, das Paar hat zwei Kinder –, ist jetzt Chef der Holding-Gesellschaft, in der sich die LVMH-Beteiligung des Vaters befindet, er leitet also das Family Office. Was weniger darauf rückschliessen lässt, Bernard sehe in ihm immer noch den grossen Unternehmer.

Im Augenblick ist eher sein ältestes Kind im lead, in Führung. Ähnlichkeiten zu Vorgängen im Fernsehen sind zufällig, natürlich. Was ich sagen will: Logan Roy, das Oberhaupt der erfundenen Medienunternehmerfamilie in «Succession», einer TV-Serie, die in der Schweiz auf Sky Show läuft, platzierte seine einzige Tochter als mögliche Nachfolgerin (für kurze Zeit), nachdem er zuvor auf den ältesten Sohn gesetzt hatte. Und im richtigen Wirtschaftsleben beförderte Vater Arnault die einzige Tochter Delphine im Januar dieses Jahres zur Chefin von Dior, der zweitwichtigsten Marke mit Verkäufen von über 8 Milliarden Euro; über ihr gibt es in der Gruppe bloss noch einen ausführenden Manager, Louis-Vuitton-Chef Pietro Beccari, der Italiener war vor Delphine Chef bei Dior gewesen.

Ladenbesuch um 23 Uhr

Ob Delphine den Posten bekommen hat, weil sie herausragende Arbeit leistete, oder weil Blut dicker sei als Wasser, ist schwer zu sagen, auch da es sich um eine Riesengruppe handelt mit zig Mitarbeitern, die ihr zudienten et cetera. Immerhin erschien in der Financial Times zeitnah ein schmeichelnder Artikel, in dem etwa Nicolas Ghesquière, Louis Vuittons Kreativdirektor, wohlmeinend über sie Auskunft gab: Sie sei ernsthaft bei der Arbeit respektive visionär wie der Alte. Und ähnlich Mikromanager-mässig unterwegs, auch sie besuche gern LV-Läden, um deren Angebot zu prüfen, abends um 23 Uhr, erzählte er.

Aus gutem Grund vielleicht – ihre Konkurrenz schläft nicht, gerade die, die einmal monatlich am Tisch im Hauptquartier mitisst. Alexandre, der älteste Sohn von Bernard und seiner heutigen Frau, ist offiziell Executive Vice President of Product and Communications von Tiffany, dem Schmuck- und Uhrenunternehmen, das der Vater vor zwei Jahren für 16 Milliarden Dollar kaufte.

Ob der Job mit dem wichtigen Titel, den der 31-Jährige hat, auch ein solcher ist? Ein Kommentator des Handelsblatts meint ja und gibt Alexandre gute Chancen, seinem Vater als Chef nachzufolgen, irgendwann. Die Einschätzung ist allerdings älter als der Aufstieg der Halbschwester. Doch der Tiffany-Gig darf wohl als Karriereschritt gewertet werden, vorher war Alexandre Chef des deutschen Kofferherstellers Rimowa gewesen, den der Alte 2016 auf Drängen des Jungen, damals 24-jährig, gekauft haben soll, für 640 Millionen Euro.

Nächste Orgelpfeife, nicht wertend gemeint, sondern bezogen auf das Alter in absteigender Reihenfolge, ist Frédéric, seit zwei Jahren Chef von TAG Heuer, einer Schweizer Uhrenmarke, die der Vater 1999 kaufte (für 739 Millionen Dollar damals). Der 28-Jährige fällt dort etwa dadurch auf, dass er angesagte Dinge macht, Uhren seiner Marke kann man mit Kryptowährungen bezahlen zum Beispiel. Und privat sammelt er Non-Fungible Token, sogenannte NFTs, meist digitale Kunstwerke, die man mit Ether, einer solchen Währung, kauft. TAG Heuers Verkaufserlöse haben sich, seit Bernard Arnaults Zweitjüngster dafür verantwortlich ist, dennoch (oder möglicherweise deshalb) kaum bewegt, sie liegen bei rund 700 Millionen jährlich. Frédéric hat damit allerdings noch kein Empfehlungsschreiben für Höheres abgeliefert.

Chinas Generation Z

Bleibt Arnaults Benjamin, der Jean heisst, 25 Jahre jung ist und seit vergangenem Jahr der Chef von Louis Vuitton Watches, also den Uhren der Marke, dank deren Handtaschen die Familie unglaublich reich und sehr mächtig wurde. Das ist wohl so was wie das Gegenstück zum mail room von LVMH. Wie viel dank Verkäufen der von ihm geführten Marke ins Haus fliesst, wird nicht mitgeteilt, der Betrag dürfte aber in der Portokasse Platz finden – der Bereich Uhren und Schmuck trägt im Ganzen rund 10 Milliarden Euro bei zu den knapp 80 Milliarden Umsatz der Gruppe, zieht man davon die Einnahmen von Tiffany, TAG Heuer und so weiter ab, bleibt nicht mehr sehr viel. Oder jedenfalls nicht genug, um seinen Namen bereits oben auf die Nachfolgerliste zu schreiben. Doch der Jüngste hat auch noch am meisten Zeit, den Alten von seiner Eignung zu überzeugen.

Bernard Arnault, der Mann mit gutem Gespür und feinem Humor, hat vor nicht langer Zeit gesagt, er möchte weitere dreissig oder so Jahre arbeiten – dann wäre er zirka hundert. Und müsste bis dorthin eventuell einen bedeutenderen Entscheid fällen als den über seine Nachfolge. Nämlich wie die Zahlen seiner Gruppe auf der heutigen luftigen Höhe gehalten werden können. Falls die Vorhersage zutrifft, wonach die chinesische Zielgruppe von morgen, die Mitglieder der Generation Z, nicht mehr so Luxusshopping-wütig sein werden, wie es ihre Eltern waren.