Dieser Artikel erschien zuerst am 29. September 2022 in der Zeitung Global Times, eine von zwei chinesischen Tageszeitungen.

An den russischen Nord-Stream-Pipelines, durch die Erdgas nach Europa transportiert wird, wurden am selben Tag insgesamt drei Lecks entdeckt, die von «starken Unterwasserexplosionen» begleitet waren und daher weithin als «vorsätzlicher Akt» angesehen werden. Ein offensichtliches Ergebnis ist, dass sich Europas Hoffnung, in diesem Winter russisches Gas über die Nord-Stream-Pipelines zu erhalten, völlig in Luft aufgelöst hat. Auch die ohnehin schon komplizierten und verschlungenen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen wurden durch diesen «Unfall» noch weiter erschwert.

Analysten gehen allgemein davon aus, dass es sich hierbei um eine besondere Ausprägung der zerstörerischen Auswirkungen des Russland-Ukraine-Konflikts handelt. Wer hat es getan? Niemand hat sich zur Verantwortung bekannt. In den internationalen sozialen Medien wurden verschiedene Spekulationen geäussert, für die es jedoch keine glaubwürdigen Beweise gibt, was jedoch die Spannungen zwischen allen Beteiligten weiter verschärft und das gegenseitige strategische Misstrauen zwischen den Grossmächten verstärkt hat, was zu weiteren Problemen im Rahmen der Sekundärkatastrophe führt.

In jedem Fall ist der Angriff auf wichtige grenzüberschreitende Infrastrukturen für zivile Zwecke sehr abscheulich. Seit dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Konflikts hat er einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Einem solchen Trend darf nicht nachgegeben werden. Sowohl die Europäische Union als auch Russland haben die zuständigen Behörden aufgefordert, eine umfassende Untersuchung durchzuführen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Da sich der Vorfall innerhalb der ausschliesslichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens ereignet hat, untersuchen Deutschland, Dänemark und Schweden derzeit die Ursache des Unfalls. Da jedoch viele Länder an diesem Vorfall beteiligt sind, müssen die zuständigen internationalen Gremien aufgefordert werden, ein gemeinsames Untersuchungsteam einzusetzen, um so schnell wie möglich die Wahrheit herauszufinden, die Schuldigen zu ermitteln und sie entsprechend zu bestrafen. Es muss verhindert werden, dass der Vorfall zu einem Rashomon-Szenario wird.

Auch wenn die Wahrheit im Moment noch nicht bekannt ist, eines ist sicher: Unabhängig davon, welche Seite den Knopf gedrückt hat, um die Nord-Stream-Pipelines zu beschädigen, hat dies der russisch-europäischen Energiekooperation einen schweren Schlag versetzt. Die EU hat zuvor grosse Anstrengungen unternommen, um die Energiepreise zu stabilisieren, aber die Lecks in der Nord-Stream-Pipeline werden diese Bemühungen wahrscheinlich zunichte machen. Der Hohe Vertreter der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, gab am Mittwoch eine Erklärung ab, in der er ausführte, dass «jede absichtliche Störung der europäischen Energie-Infrastruktur völlig inakzeptabel ist». Der «kälteste Winter», der auf den «Sommer der Unzufriedenheit» gefolgt ist, hat Europa eine grössere Welle von Firmenpleiten und wirtschaftlicher Rezession beschert.

US-Aussenminister Antony Blinken sagte, dass eine Sabotage der Nord-Stream-Pipelines «in niemandes Interesse» sei. Aber warum kommt es immer wieder zu Vorfällen, die «in niemandes Interesse» sind? Darüber sollte die internationale Gemeinschaft ernsthaft nachdenken.

Das unglückliche Schicksal der Nord-Stream-2-Pipeline selbst erklärt eine ganze Reihe von Problemen. Das grosse, für beide Seiten vorteilhafte und für beide Seiten gewinnbringende Kooperationsprogramm zwischen Russland und der EU ist von Anfang an auf den entschiedenen Widerstand der USA gestossen. Von wiederholten verbalen Drohungen bis hin zu zahlreichen Sanktionsrunden haben die USA ihre feste Haltung bewiesen – sie werden nicht aufhören, bis sie Nord Stream 2 vereiteln.

Nach dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Konflikts stand Nord Stream 2, ein Kooperationsprojekt, das eigentlich der europäischen Bevölkerung zugutekommt, unter dem vielfältigen Druck von Hegemonismus, geopolitischem Kalkül und Sicherheits-Dilemmata kurz vor dem Bankrott. Diese vorsätzliche Sabotage hat die Möglichkeit einer Wiederbelebung zunichtegemacht.

Es ist nicht schwer zu spüren, dass es eine unsichtbare Schere gibt, die die Interessenbande zwischen Russland und Europa durchschneidet. Diejenigen, die diese Schere kontrollieren, spielen Politik. Wenn die Interessenbande gekappt werden, wird es zu einer tragischen Konfrontation zwischen Russland und Europa kommen, deren grösstes Opfer das Leben vieler Menschen sein wird.

Der Nord-Stream-Zwischenfall zeigt erneut, dass sich die Auswirkungen des russisch-ukrainischen Konflikts nicht auf das militärische Schlachtfeld beschränken, sondern sich auch auf die Bereiche Energie, Wirtschaft, Lebensmittel und sogar auf die öffentliche Meinung ausweiten. Der Zwischenfall in Butscha im April dieses Jahres warf einen schweren Schatten auf die Waffenstillstandsverhandlungen, die sich in einer kritischen Phase befanden. Nun hat der Pipeline-Unfall den Spielraum der Konfliktparteien für eine politische Einigung erneut eingeengt.

Noch beunruhigender ist, dass niemand weiss, ob die Planungen für den nächsten Zwischenfall bei Butscha oder Nord Stream bereits im Gange sind. Diese Ungewissheit wird das Damoklesschwert sein, das über Europa und sogar über der ganzen Welt hängt.

Im Moment sollten alle Parteien so gut wie möglich ein Sicherheitsnetz knüpfen, damit der Konflikt so schnell wie möglich eine sanfte Landung erreicht. Der stellvertretende russische Aussenminister Alexander Gruschko erklärte am Mittwoch, dass Russland bereit sei, Anfragen von EU-Ländern nach einer gemeinsamen Untersuchung der jüngsten Vorfälle bei den Nord-Stream-Offshore-Gaspipelines zu prüfen, sofern es Anfragen von europäischen Ländern gebe.

Wenn Russland und die europäischen Länder bei der Untersuchung von Unfällen zusammenarbeiten können, auch wenn diese Zusammenarbeit nur sehr begrenzt ist, wird dies ein grüner Olivenzweig im schwarzen Sturm sein, der dazu beitragen wird, die Konfrontation zu entschärfen und die Spirale der Widersprüche zu vermeiden.

Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass vom Butscha-Zwischenfall bis zum Nord-Stream-Zwischenfall Krieg und Chaos die Hauptschuldigen für all diese Tragödien sind. Es ist zu hoffen, dass das Geräusch der Explosion der Nord-Stream-Pipelines mehr Menschen aufrütteln kann, sich dem Streben nach Frieden anzuschliessen, um den Nord-Stream-Zwischenfall in eine Gelegenheit zu verwandeln, den Krieg zu stoppen und den Frieden zu fördern, und nicht in einen Zünder, der die Situation verschlimmert.

Die 3 Top-Kommentare zu "Leitartikel in der chinesischen Global Times: Nord-Stream-Sabotage darf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht anheizen"
  • traugi68

    Woran liegt es wohl, dass chinesische Tageszeitungen vernünftiger berichten als unsere MSM? Bereits die Rede von Putin war vernünftiger als das Kriegsgehetze einer Baerbock oder von der Leyen.

  • Pauline Postel

    Mehr Europäer werden sicherlich aufwachen, wenn sie diesen Winter mal ordentlich frieren. Die Meinung des US-Außenminister "in niemanden Interesses" ist natürlich vollkommener Nonsens und zeigt die Verlogenheit der US-Ministration. Allein die Tatsache, dass die USA jetzt der Hauptlieferant für (schmutziges) Gas nach Europa werden, überführt die Amerikaner ihrer dreisten Lüge.

  • balthasar

    Wenn im Eingang berichtet wird, dass diese Zeitung eine von zweien ist, ist wohl alles gesagt, dass diese Zeitungen sehr staatsnahe sein "könnten" . Nicht destotrotz, was ist denn an diesem sehr Vernünftigen Artikel negatives Auszusetzen. Das einzige kann man beifügen, dass unsere MSM nicht mal Ansatzweise so etwas vernünftiges zu Schreiben gewillt sind.