Die Streif in Kitzbühel ist ein Monument des Sports. Keine Abfahrtsstrecke der Welt vereint mehr Mythen, Abenteuergeschichten und (Alb-)Träume. Allein der Blick aus dem Starthaus lässt das Blut in den Adern gefrieren, und schon manche Karriere zerschellte auf der eisigen Hausberg-Kante.

«Wenn du oben stehst, kannst du dir nicht vorstellen, dass du da runterfahren wirst», sagt der heutige SRF-Experte Marc Berthod. Selbst Rekordsieger Didier Cuche überlegte vor seiner Premiere, ob er nicht doch lieber mit der Gondel wieder nach unten fahren soll. Und Beat Feuz riet seinem jüngeren Kollegen Marco Odermatt vor drei Jahren: «Schau nur nicht zu, wie die anderen starten und die Mausefalle runterrasen.»

Die Streif – sie machte selbst dem vielleicht besten Techniker der Skigeschichte, Ingemar Stenmark, einen Riesenrespekt. Der Schwede absolvierte die Abfahrt 1981, um in der Kombination ein paar Punkte zu gewinnen – und erreichte das Ziel mit zitternden Knien zehn Sekunden hinter dem Sieger Steve Podborski.

So viel Verspätung dürfte sich Marco Odermatt am Freitag und Sonntag nicht einhandeln. Gleichwohl wird für den Führenden im Gesamtweltcup der Ritt auf der pickelharten Unterlage zum ultimativen Test. Fährt er auch hier in die Spitzenränge, schwingt er sich endgültig zum neuen Superstar auf. Doch die Geschichte birgt ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial. So kurz vor den Winterspielen in Peking kann allein ein Sekundenbruchteil der Unaufmerksamkeit oder schon der kleinste Fahrfehler alle Träume zerstören.

Odermatt aber wird sich von solchen Gedanken kaum bremsen lassen – und schon gar nicht von den Erinnerungen an die Abfahrt von 2021. Vor Jahresfrist wartete er mit der Nummer 31 auf seinen Start – und musste dann überrascht zur Kenntnis nehmen, wie das Rennen nach dem 30. Fahrer abgebrochen und Beat Feuz zum Sieger erklärt wurde.