In der NZZ am Sonntag lese ich auf der Frontseite: «Vergeltung für Sanktionen: Russland beschlagnahmt Schweizer Luxusuhren». Der Kreml drangsaliere die Schweizer Firma Audemars Piguet und habe in Moskau Uhren im Wert von mehreren Millionen Franken konfisziert.

Auf den Einwand, das sei doch rechtswidrig, antworten Russen: «Ja, und die Sanktionen der Schweiz?»

Man sieht: Der Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland lässt sich nicht mehr verheimlichen. Und weil die Schweiz im Ukraine-Krieg ihre bewährte dauernde, bewaffnete, umfassende Neutralität preisgegeben hat, steht sie mitten im Kriegsgetümmel.

Jetzt folgt die Retourkutsche. Der «Feind» schlägt zurück.

Warum hat der russische Geheimdienst ausgerechnet die Räumlichkeiten einer schweizerischen Uhrenfirma durchsucht? Weil die Schweiz ein Kleinstaat ist. Russland weiss, dass sich ein Kleinstaat nicht auf die Macht, sondern nur auf das Recht berufen kann.

Hätte Russland auch Produkte amerikanischer Firmen rechtswidrig «sichergestellt»? Wohl kaum. Die USA brauchen nicht neutral zu sein, sie haben die Macht und die Atomwaffen. Die Schweiz nicht.

Hoffentlich erkennen wir wieder den Wert unserer traditionellen Neutralität, die eben nicht von Fall zu Fall gehandhabt werden darf. Diese muss dauernd und umfassend sein, damit sie jederzeit – gerade in Zeiten von Konflikten und Kriegen – glaubwürdig in Erscheinung treten kann.

Das Departement des Äusseren (EDA) wollte den Raubzug auf die Uhrenfabrik vertraulich behandeln. Warum?

Die Nachricht ist doch wichtig für die schweizerische Öffentlichkeit. Man spürt, dass es der Bundesverwaltung und ihren Diplomaten nicht wohl ist. Das Schweizer Publikum sollte nicht erfahren, dass der Neutralitätsbruch ganz konkrete Folgen hat.

Dies ist im Krieg so.