Die grosse Frage von jedem, der jemals in diesem Land gegen einen Ball gekickt hat, lautet nun: Schaffen es die Schweizer in den WM-Achtelfinal und dann, endlich, in den Viertelfinal, oder reicht es wieder nicht?

Die erste Hürde ist die Gruppenphase: Die Schweiz hat Kamerun mit 1:0 geschlagen, Brasilien hat die Serben 2:0 abgetischt, Brasilien und die Schweiz sind jetzt die Favoriten für die zwei Plätze an der Sonne. Und?

Im Fussball gibt es 1001 Faktoren, Argumente, einer solchen Frage näherzukommen. Und es gibt ein paar wenige Punkte, die wirklich wichtig sind, den 1001 Faktoren Gewicht geben.

Das sind: Qualität der Spieler, Qualität der Trainer, Willen und Leidensfähigkeit der Mannschaften, Erfahrung, Chemie der Teams, Leidenschaft der Gruppen. Und, auf keinen Fall zu vergessen, die wichtigste Komponente von allen vor der Schlacht, die Napoleon einst so formulierte. «Ich kann keinen General gebrauchen, der kein Glück hat.»

Ich verfolge die Fussball-Weltmeisterschaften seit 1966. Ich habe alle Faktoren um Brasilien, die Schweiz und Serbien abgewogen.

Und dies ist der Schluss: Wer die Qualität der Spieler addiert, wird wissen, dass Brasilien und die Schweiz es in die Achtelfinals schaffen. Was die Qualität der Trainer betrifft, ist die Schweiz sogar gegen Brasilien im Vorteil. Murat Yakin ist der einzige Trainer in dieser WM-Gruppe, der Weltklasse hat. Wenn Napoleon mit ihm ist, hat er sogar das Zeug zu einer Legende.

Willen, Leidensfähigkeit der Gruppen, da sind die drei Teams auf der gleiche Ebene, wie auch bei der Erfahrung. Natürlich hat Brasilien in dieser Gruppe den grössten Vorteil für sich, es ist mit Abstand das beste Team, aber Brasilien hat auch die grösste Last zu tragen, den Druck der Erwartungen, Hoffnungen. Wenn Brasilien verliert, stürzt ein ganzes Land in Depressionen.

Okay. Bis jetzt scheint es klar, Brasilien und die Schweiz schaffen es in die nächste Runde. Oder?

Ich weiss, jetzt gerate ich in Gefahr, zum Partykiller zu werden, denn mein Gefühl sagt mir, die Schweiz schafft es wieder nicht. Eine Enttäuschung steht uns ins Haus. Wir werden den Serben beim Jubeln zuschauen müssen.

Warum? Ganz einfach, wer soll denn bei uns weinen, wenn wir verlieren?

Bei den Faktoren, die über Sieg und Niederlage entscheiden im Fussball, haben wir die Leidenschaft für den Sieg nicht hoch genug eingeschätzt. Wer entschied Schweiz–Kamerun? Richtig, Breel Embolo. Jubelte er nach seinem Tor? Nein. Im Laufe des Tages hat Breel Embolo sogar noch ein paar Tränen vergossen, dass er mit seinem Tor sein heissblütiges Heimatland Kamerun ins Elend stürzen musste.

Die Tränen von Breel Embolo fehlen uns zum Achtelfinal. Denn wenn zwanzig Spieler in der Wüste von Doha nach 100 Minuten dem Ende zukeuchen, ist es nicht mehr die Fertigkeit am Ball, die den letzten Unterschied ausmacht, es ist nur noch die Leidenschaft, die zählt.

Beginnen wir wieder einmal bei der Nationalhymne. Und den Gesichtern beim Abspielen der Hymnen. Bei den Schweizern hat es ein bisschen gebessert, ein paar singen sogar schüchtern mit, die andern legen die Hand aufs Herz. Die Serben? Sie schmettern ihre Hymne mit Inbrunst in den Himmel, jeder zeigt, wie stolz er ist, für sein Land zu kämpfen. Wer weiss, für wen er kämpft, stolz darauf ist, für sein Land zu kämpfen, kämpft bei 40 Grad im Schatten nach 100 Minuten leichter. Ganz einfach.

Letzte Frage: Ist es der Fehler unserer Spieler, dass ihnen die letzte Leidenschaft zum Sieg fehlt? Ich denke nicht. Wenn in der grössten Stadt der Schweiz mit einem Einzug von über einer Million der Wille fehlt, der Leidenschaft von wahrscheinlich über einer halben Million ein Fussballstadion zu bauen, wenn ein paar langweilige Nörgler einer ganzen Region und ihrer Jugend vor der Lebensfreude, Begeisterung stehen können, woher soll unsere Nationalmannschaft den letzten Willen zum Sieg denn schöpfen?

Mario Widmer, langjähriger Blick-Sportchef, ist der Doyen des Schweizer Fussballjournalismus.

Die 3 Top-Kommentare zu "Schafft es die Schweizer Nati ins WM-Achtelfinale? Auch wenn ich Gefahr laufe, zum Party-Killer zu werden, aber die Schweiz wird es nicht schaffen"
  • max.bernard

    Ja, da ist was dran! Wegen dem Mangel an Leidenschaft klappt es trotz guter Spieler und gutem Trainer nicht über das Achtelfinale hinaus zu kommen. Denn wenn bei Spielern zwei Herzen in einer Brust schlagen, dann ist das eine Herz zu wenig um Leidenschaft zu erzeugen.

  • maurolo

    Aber noch schlimmer empfinde ich das Nichtjubeln nach einem Tor aus "Respekt" dem Gegner gegenüber, fast schon Scham, ein Tor erzielt zu haben, weil ein zweites Herz in der Brust schlägt. Dies offenbart aber nur die Respektlosigkeit den eigenen Farben, sprich dem eigenen Club oder der Nationalmannschaft gegenüber. Lieber Embolo. Das nächste mal gegen Kamerun, lass dich einfach nicht aufstellen oder schiess einfach daneben oder am Besten du triffst und jubelst wie es sich gehört. Ich Habe fertig.

  • maurolo

    2 Dinge die ich im Fussball nie verstehen und nie akzeptieren werde, ist, nach einem Foul das unsägliche Wälzen und Schreien auf dem Rasen. In 99% der Fouls ist alles Theatralik. Da muss ich die Eishockey Spieler loben, denn nachdem sie von einem Koloss an die Bande gepresst werden und mit Brutaler Wucht dann aufs Eis knallen, diese in den meisten Fällen ohne mit der Wimper zu zucken, wieder Aufstehen und weiterspielen. Natürlich, auch da gilt, keine Regel ohne Ausnahme.