Berlin

If you can’t make it there, you can’t make it anywhere.» Der Berliner Volksentscheid «Klimaneutral 2030» ist krachend gescheitert. Von den nötigen 607.000 Teilnehmern (25 Prozent der Wahlberechtigten), die mit «Ja» hätten stimmen müssen, fanden nur 442.000 an die Abstimmungsurne. Um es mit dem früheren Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter zu sagen: «Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!» Denn wir reden hier von Berlin, wo links-grüne Überfliegereien die ungleich günstigsten Bedingungen vorfinden – gewissermassen reziprok zum alten Sinatra-Gassenhauer von New York als Prüfstadt der Möglichkeiten: Wenn es Grüne in Berlin nicht schaffen, wo dann?!

Spenden aus den USA

Wie konnte das passieren? Ausgerechnet im dysfunktionalen Berlin, wo die Wähler noch immer gegen die eigenen Interessen für Rot-Rot-Grün gestimmt und den versagenden Hauptstadt-Staat mit zerstörerischen Mehrheiten ausgestattet haben, wo im Vorfeld vom ARD-Regionalsender Berlin-Brandenburg (RBB) mit dreister Offenheit für den «Klima-Neustart» geworben wurde und 1,2 Millionen Euro Spendengelder die Finanzierung der Kampagne sicherten – davon 380.000 aus den USA!

«Woran hat’s gelegen?», würde man beim Fussball fragen. Ja gut, würde der unterlegene Verteidiger anschliessend sagen, wir hatten einen knappen Vorsprung von rund 20.000 Ja-Stimmen gegenüber den Nein-Sagern, und natürlich konnte man sich auf die Revoluzzer in Friedrichshain-Kreuzberg (76 Prozent Ja) und Berlin-Mitte (67 Prozent Ja) verlassen. Aber die urbanen Stadtränder von Spandau bis Köpenick dachten dann wohl doch eher ans Eigen- als ans Wolkenkuckucksheim, und überhaupt wollten 65 Prozent der Berliner gar nichts von dem Volksentscheid wissen.

«Das Signal, das um die Welt gehen sollte, wurde in den Spandauer und Reinickendorfer Vorgärten zwischen Swimmingpool und SUV erfolgreich abgewürgt», kommentierte die links-alternative Tageszeitung (Taz) frustriert und traf damit (wohl ungewollt) genau den Ton des elitären Dünkels der Klima-Bewegung. Ein Anklang an jene Weltenretter-Avantgarde-Attitüde revolutionärer Parteien als «Vorhut» der (tumben) Massen, die Lenin schon 1902 in seiner Kampfschrift «Was tun?» eingeführt hatte und die später jeder zerstörerisch-autoritären Bewegung eigen gewesen ist. Gepaart mit einem Schuss Volksverachtung und der Unfähigkeit, andere Menschen ausserhalb beschränkter Klischees zu sehen.

In Zeiten, in denen der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck teure Heizungs-Anschaffungen von Vermietern und Eigentümern erzwingen will und die EU Milliarden von Euro für Häuserdämmung auf alle umlegen möchte, dämmert es vielen Zwangsgedämmten, dass die Klimaneutralität nicht einfach herbeigestimmt werden kann, sondern von allen bezahlt werden muss. Am wenigsten von denen, die den Volksentscheid vorangetrieben haben.

Selbst in Berlin gibt es noch normale Menschen. Hört man zumindest.Kulturkampf der Lebensstile

Berlin ist gespalten in die Öko-Freunde innerhalb des S-Bahn-Rings und die Bodenständigen ausserhalb. Der Klimakampf ist auch ein Kulturkampf der Lebensstile: Wer den Bio-Laden um die Ecke hat und alle Ziele zu Fuss, mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen erreichen kann, wer sich höchste Mieten, teures Eigentum und urbanes Flair als Ambiente leisten kann – vielleicht auch dank eines schönen Erbes –, der hat kein Problem damit, die Zügel beim CO2-Ausstoss für andere anzuziehen. Wer sich sein Haus mit Garten selbst erarbeitet hat oder in Neubausiedlungen am Rande wohnt, sieht schon jetzt das Ende der finanziellen Fahnenstange und ahnt, dass die Rechnung der Klimafreunde nicht aufgeht.

Dass das Klima vielen lieb, aber im konkreten Fall zu teuer ist, ist kein neuer Effekt. Selbst im links-grünen Berlin gibt es noch normale Menschen. Hört man zumindest. Ob der gescheiterte Volksentscheid allerdings ein Signal für das «Ende des grünen Höhenflugs» ist, wie es im Talk «Stimmt!» diskutiert wurde, ist noch nicht klar. Die Grünen ziehen in der Bundesregierung die Daumenschrauben umso mehr an, als der Widerstand vom Koalitionspartner FDP, der Wirtschaft und der Strasse wächst. Das könnte die Fraktion Weltrettung zu noch grimmigerem Vormarsch anspornen. Kein günstiges Klima für Klimaretter.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.