Dieser Artikel erschien zuerst am 30. Januar 2023 auf dem Onlineportal Asia Times aus Hongkong. Brandon J. Weichert ist ein geopolitischer Analyst und Autor des Buchs «Winning Space: How America Remains a Superpower». Wir dokumentieren seine hochinteressanten Gedanken in einer ungekürzten Übersetzung. 

 

Nachdem sie fast ein Jahr lang ihre Verbündeten in der Nordatlantikvertrags-Organisation (Nato) um fortschrittliche Kampfpanzer angefleht hat, gibt die Allianz den Ukrainern nun endlich nach.

Die russische Invasion, die nach dem erfolglosen Versuch, Kiew einzunehmen, zum Stillstand gekommen war, endete mit dem Rückzug der russischen Streitkräfte auf die von Russland gehaltenen Gebiete in der Ostukraine und auf der Halbinsel Krim.

Nachdem sich die Russen zurückgezogen hatten, nutzten die Ukrainer ihren Sieg in der Schlacht von Kiew nicht als Druckmittel, um von Moskau eine Verhandlungslösung zu erhalten, sondern gingen in die Offensive.

Sobald sich der Krieg von einem Defensiv- in einen Offensivkrieg in einem Gebiet verwandelte, das die Russen mindestens seit 2014 innehatten, änderte sich die Lage für die Ukrainer.

Jetzt hat Russland seine gesamte Truppenstärke mobilisiert und zwischen 300.000 und 350.000 Soldaten stationiert und bereitet sich auf einen massiven Gegenangriff gegen die überlasteten ukrainischen Linien vor.

Um eine totale Niederlage zu verhindern, schaltet sich das Nato-Bündnis in letzter Minute ein und schickt ein Sammelsurium von Kampfpanzern.

Westliche Analysten, die ihren Sinn für Vernunft und Redlichkeit aufgegeben haben, sind zu Befürwortern dieser Entscheidung (und anderer eskalierender Aktionen) geworden.

Betrachtet man jedoch die damit verbundenen Fristen, die Brüchigkeit der Nato-Nachschubketten in die Ukraine und die Art und Weise, in der die strapazierten und ausgelaugten ukrainischen Verteidigungslinien bereits unter dem immer noch begrenzten russischen Druck einknicken, kann man nicht umhin, sich zu fragen, ob diese Massnahmen der Nato falsch, gefährlich und sogar sinnlos sind.

Sie werden der Ukraine nicht helfen, sondern noch mehr Ukrainer in den Tod treiben und einen grösseren Krieg mit dem Westen riskieren.

Es wurde berichtet, dass Grossbritannien eine Kompanie von vierzehn bis fünfzehn Challenger-2-Panzern entsendet.

Nach langem Hin und Her haben die Deutschen zugestimmt, ihre Leopard-2-Panzer in die Ukraine zu exportieren, allerdings unter der Bedingung, dass die Vereinigten Staaten einige ihrer M1-Abrams-Panzer in die Ukraine schicken.

Insgesamt hat sich Deutschland bereit erklärt, eine Kompanie Leopard (vierzehn bis fünfzehn) zu entsenden, während die Amerikaner der Entsendung von 31 Abrams zugestimmt haben.

Bei diesen atemlosen (und verfrühten) westlichen Siegeserklärungen über Russland in der Ukraine wird nicht ein einziges Mal berücksichtigt, dass die Ukraine schon vor Monaten um 300 Panzer gebettelt hat.

Zusammen mit der Mobilisierung von mehr als 350.000 Soldaten lieferte Russland im Rahmen seiner Aufrüstung Ende 2022 etwa 200 Kampfpanzer des Typs T-90 an seine Streitkräfte, die in den separatistischen Republiken der Ostukraine kämpfen.

Ausserdem haben die USA gezögert, die M1-Abrams-Panzer zu schicken, da es sich um Amerikas beste Kampfpanzer handelt. Die amerikanischen Industriekapazitäten sind nicht mehr das, was sie einmal waren, wie das peinliche Eingeständnis des Pentagons zeigt, dass es derzeit nicht genügend fortschrittliche Versionen des M1-Abrams-Panzers hat, um sie in die Ukraine zu schicken.

Die USA haben es versäumt, ihre Industrieproduktion zu erhöhen, um ihre Waffenarsenale für die Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen aufzufüllen.

Es gibt eine materielle Grenze für das, was die USA in die Ukraine schicken können, ohne ihr eigenes M1-Abrams-Arsenal zu gefährden. Da die Amerikaner planen, ihre modernste Version der Panzer zu schicken, müssen diese Einheiten von Grund auf neu gebaut werden. Die Ukraine sollte daher erst in zwölf bis achtzehn Monaten (oder später) mit der Lieferung der Panzer rechnen.

Da der M1 Abrams das Flaggschiff des US-Militärs ist – ja, er ist eine Ikone –, ist es unwahrscheinlich, dass Washington die Demütigung riskieren will, eine grosse Anzahl dieser Einheiten im Kampf zu verlieren.

Deshalb werden jetzt verstärkt Forderungen laut, der Ukraine F-16 und andere moderne Flugzeuge zur Verfügung zu stellen. Denn ohne Luftschutz sind die Panzer der Nato ein leichtes Ziel für russische Flugzeuge.

Die Gefahr, dass Russland die Lieferung von US-Panzern in die Schlacht als Casus Belli gegen die Nato und die Vereinigten Staaten selbst benutzt, lastet schwer auf den widerspenstigen Gemütern der amerikanischen Entscheidungsträger. Dies erklärt, warum die Begeisterung der Amerikaner für die Entsendung dieser kritischen Systeme so lau ist.

Darüber hinaus ist die Ankündigung, Panzer zu schicken, noch lange nicht gleichbedeutend mit der tatsächlichen Entsendung von Panzern.

Die Deutschen haben sich bereit erklärt, fünfzehn Leopard 2 in die Ukraine zu schicken, aber sie haben keinen konkreten Zeitplan genannt. Die Amerikaner sind mit ihren 31 Panzern noch vorsichtiger, was den Zeitplan für die Entsendung angeht. Polen stellt ebenfalls fünfzehn Leopard 2 und eine Reihe älterer sowjetischer Panzer zur Verfügung.

In der Zwischenzeit wird die tatsächliche Anzahl der Panzer – falls sie tatsächlich alle wie versprochen in Kürze entsandt werden – im Vergleich zur Grösse und Aufstellung der russischen Panzer, die gegen die ukrainischen Streitkräfte in Stellung gebracht werden, verschwindend gering sein. Die USA verlangen von den Ukrainern im Grunde, dass sie Panzer bemannen, für deren Bedienung sie wenig bis gar keine formale Ausbildung und keinerlei Erfahrung mit der Wartung haben, und das in einem verzweifelten Moment im Kampf gegen eine grössere russische Streitmacht.

Wir reden hier nicht nur über eine einfache Stinger oder Javelin. Es handelt sich um Spitzenwaffensysteme, deren Bedienung viele Monate, ja sogar Jahre der Ausbildung erfordert. Es ist denkbar, dass Russland innerhalb weniger Monate sein gesamtes T-90-Panzerarsenal auf die ukrainischen Linien werfen könnte, während die verbrauchten ukrainischen Streitkräfte an der Front auf das Eintreffen der wenigen Kampfpanzer der Nato warten.

Hat denn in den westlichen Geheimdiensten niemand die Grundrechenarten gelernt?

Mal sehen, vierzehn Challenger 2 aus Grossbritannien, vierzehn Leopard 2 aus Polen und vierzehn Leopard 2 aus Deutschland ergeben 42 Panzer. Zusammen mit den zusätzlichen 31 M1-Abrams-Panzern, die zwischen den nächsten Wochen und den nächsten Monaten eintreffen werden, stehen der Ukraine 73 moderne Nato-Kampfpanzer zur Verfügung.

Die Nato besteht darauf, dass die Ukraine bis zu 321 Panzer erhält, doch wann dies der Fall sein wird und ob es sich dabei um moderne Kampfpanzer oder eher um Schrott aus der Sowjetzeit handeln wird, ist noch nicht bekannt.

Ohne eine angemessene Luftabdeckung klingt der Mangel an Panzern gegen die gesamte russische Panzertruppe und ihre 350.000 Mann starke Armee wie Don Quijote auf Steroiden.

Sicherlich haben sich die Ukrainer gegen die Russen weitaus besser geschlagen, als man bisher erwartet hatte. Doch wir sollten uns keine Illusionen darüber machen, wie. Ja, die Ukrainer sind tapfer. Nein, sie sind keine Übermenschen.

Der Grund, warum die Ukraine die russische Invasion im letzten Jahr abwehren konnte, war die schiere Zahl und die geografische Lage: Die Russen fielen mit einer mickrigen Truppe von 160.000 Mann in ihr Land ein, die nicht über die Mittel oder die Führung verfügten, um auf Kiew zu marschieren, wie Präsident Wladimir Putin es für möglich hielt.

Das hat sich nun geändert. Die Russen formieren sich gegenüber den Ukrainern so, dass ihre Offensive mühsam und zermürbend sein wird, aber letztendlich den müden ukrainischen Widerstand brechen wird – während die Ukraine ein paar Kompanien Nato-Panzer in das Chaos schickt und für diesen quixotischen Versuch aufgerieben wird.

In der Kriegsführung zählen immer noch Logistik, Geografie und Arithmetik.

Zum Leidwesen Kiews arbeiten diese zeitlosen Faktoren nun gegen das Land. Kriegsführung ist von Natur aus ein politischer Akt. Die strategischen Ziele hätten darin bestehen müssen, den ukrainischen Kern im westlichen Teil des Landes zu erhalten und die Invasion so schnell wie möglich zu beenden – ein Ziel, das nicht allein durch Waffengewalt erreicht werden kann.

Aufgrund der Unfähigkeit Kiews, dies zu erkennen, und der phantastischen (fast kindlichen) Vorstellungen seiner Nato-Unterstützer, wird die Ukraine in den nächsten sechs Monaten durch den Ansturm eines völlig mobilisierten Russlands zerschlagen werden.

Die Nato wird ihre eigenen Waffenvorräte und ihre Staatskasse geleert haben und die Welt an den Rand eines weiteren globalen Konflikts zwischen Grossmächten gebracht haben – und das alles umsonst.

Die 3 Top-Kommentare zu "Vergeudete Panzer, vergeudete Zeit: Die Nato wird ihre Waffenvorräte und ihre Staatskasse geleert haben und die Welt an den Rand eines weiteren globalen Konflikts gebracht haben – und das alles umsonst"
  • palladium46

    Endlich lesen wir eine klare Analyse der Lage in der Ukraine. Die kriegslüsterne Propaganda von Blick, Tagesanzeiger-Konzern, SRF und teilweise auch NZZ versucht diese schon seit dem Beginn des Krieges im Jahr 2014 zu vernebeln. Und dafür haben Cassi und Co. die Neutralität geopfert. Wenn der Krieg vorbei ist, müssen diese Politiker zur Rechenschaft gezogen werden wegen ihrer Verbrechen gegen den Staat.

  • brennholzverleih

    Wer Waffen hin schickt, soll sie auch bedienen, z. B Fr. Baerbock, Fr. Strack

  • Käsesemmel

    Viele Deutsche glauben immer noch an einen möglichen Sieg Dank der westlichen "Wunderwaffen". Das hat schon 1945 nicht geklappt.