Ein Gespräch mit meiner Mutter in Nowokusnezk gibt mir einen Eindruck, wie einseitig die Menschen in Russland informiert werden. Ich frage mich immer wieder, wie es dem Staatsfernsehen gelungen ist, dass die Menschen das Gefühl haben, der Krieg in der Ukraine sei rechtens – wobei meine Mutter das Wort «Krieg» nie in den Mund nehmen würde, sondern – ganz im Sinne des Kremls – von «Sonderoperation» spricht.

Als ich ihr sagte, dass der Krieg ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei, gab sie mir recht – aber mit der kleinen Nuance, dass Putin keine andere Wahl besitze. Denn er habe die vier Millionen Einwohner in der Donbass-Region vor den ukrainischen und westlichen Aggressoren schützen wollen. Es seien die Ukrainer, die Völkermord begingen – an den Russen.

Es mache alles globalen Sinn, erklärt mir meine Mutter – und letztlich sei der Westen der Auslöser dieses Konflikts. Und Russland unschuldig.

Russland wolle nur die Ukraine vom Faschismus und Nazismus befreien. Sie nennt die Sonderoperation in der Ukraine auch ein Schachspiel, in dem die Figuren verschoben werden – und der Westen den ersten Zug gemacht habe. Und sie findet es höchst ungerecht, dass die russischen Gefangenen in der Ukraine schlecht behandelt werden.

Für die toten Zivilisten in der Stadt Butscha hat sie eine einfache Erklärung: «Das ist von den Ukrainern inszeniert, um die Russen schlecht darzustellen.» Eine einzige Provokation sei das.

Was die russischen Soldaten in der Ukraine machen, sei für sie absolut legitim – mit dem Argument, dass Krieg immer Opfer bringe, Russland müsse sich verteidigen.

Wenn der Westen wirklich Frieden wolle, würde er den Ukrainern keine Waffen liefern, sondern nur humanitäre Hilfe, sagt sie. Deshalb werde am Ende ein Kriegstribunal entscheiden – und die wahren Schuldigen benennen: Wolodymyr Selenskyj und seine Hintermänner.

Wenn wir das Telefonat beenden, wünsche ich meiner Mutter viel Glück und gute Gesundheit. Es ist derzeit alles, was ich für sie tun kann. Das Geld, das ich ihr gelegentlich überweise, kommt nicht an – weder via Swift noch via Western Union. Und auch via Kreditkarten kann ich ihr in Russland derzeit nichts kaufen.

Es ist die einzige Realität des Kriegs, die meine Mutter in Sibirien unzensiert zu spüren bekommt.

Die 3 Top-Kommentare zu "Wie schafft es der russische Staat, dass die Bevölkerung das Gefühl hat, Russland sei das Opfer und Putin ein Befreier? Eine Russlandschweizerin erreicht ihre Mutter in Sibirien"
  • TheRealLaurel

    Leider stelle ich fest, dass die Kommentare zu diesem Thema immer unerträglicher werden und von einer Selbstüberschätzung und Arroganz zeugen, die man kaum noch ertragen kann. Nicht einmal die differenzierte Sicht einer Russlandschweizerin mit lebenden Angehörigen im Vaterland darf mehr als Referenz gelten. All ihr lieben Besserwisser: Kennt ihr auch nur einen Menschen, der in der Ukraine oder in Russland lebt? Wer hat euch zu Experten ernannt? Bitte einfach Klappe halten von jetzt an, danke.

  • viktor.herrmann

    Werte Frau Bogdanova Hoffentlich haben Sie sich gleichzeitig auch gefragt, wie es hier in Westland gelingt so einseitig zu informieren? Sprechen Sie einmal mit einem Blkckleser..... und wünschen Sie ihm dann bitte auch alles Gute.

  • DerRealist

    Danke Frau Bogdanova für diesen guten Artikel! Schade nur, dass bei vielen Weltwoche-Kommentarschreibern auch nicht mehr Realität ankommt, als bei ihrer Mutter in Sibirien …