Die Frage, ob Kant sich gegen Corona impfen liesse, ist zu ungenau. Würde Kant sich impfen lassen, wenn es eine staatliche Impfpflicht gäbe? Gewiss, denn Bürger haben kein Recht auf Widerstand.

Zugleich würde Kant eine staatliche Impf-Pflicht wohl für einen Eingriff in die Autonomie halten. Aber neben den Rechts-Pflichten gibt es auch noch Tugend-Pflichten.

Würde Kant es also für eine ethische Pflicht halten, sich impfen zu lassen? Wieder muss man differenzieren: Denn es gibt ethische Pflichten gegen sich selbst und gegen andere. Und Kant fragt, ob das Selbstmord-Verbot es erlaube, sich gegen die Pocken zu impfen, gerade «um sein Leben zu erhalten» ‒ sein eigenes Leben, wohlgemerkt, nicht das der anderen.

Er lässt die Frage offen, wohl auch deshalb, weil man mit der Pockenimpfung «sein Leben aufs Ungewisse wage»; Kant war mit guten Gründen skeptisch in Bezug auf die Pockenimpfung.

Die Pflicht, anderen Menschen zu helfen, ist eine weite Pflicht, sie lässt immer Spielraum. Ob sie etwa bei der Pocken- oder der Corona-Impfung greift, hängt von den Umständen ab, eben auch davon, was man weiss.

Ganz bestimmt aber darf eine weite Pflicht nicht erfüllt werden, wenn damit eine enge Pflicht verletzt wird.