Eines ist Wladimir Putin mit seiner Rede zur Lage der Nation schon gelungen: Wieder einmal hat er die politischen und publizistischen Kreml-Astrologen in Washington, London und Berlin Lügen gestraft. Hatten sie ihn nicht gebrechlich und von Krankheiten geschwächt dargestellt? Hier ein Zittern in den Gliedmassen, dort ein aufgeschwemmtes Gesicht, sei es vom Alkohol oder von Medikamenten.

Doch der Mann, der vor die Abgeordneten der beiden Kammern des russischen Parlaments trat, war fit, kregel und gut drauf. Er strotzte vor Gesundheit, lieferte die neunzigminütige Rede ohne Zeichen von Schwäche ab. Der Kontrast zum senilen Gegenspieler in Washington hätte nicht grösser sein können.

Gehälter und Renten stabil

Das war Enttäuschung Nummer eins. Enttäuschung Nummer zwei folgte, je länger man den Ausführungen lauschte. Hatte man nicht vorhergesagt, dass der Präsident säbelrasselnd, aggressiv und kriegslüstern auftreten werde – vor allem nach dem provokanten Besuch von US-Präsident Joe Biden 24 Stunden zuvor in Kiew? Ganz sicher werde Putin das nicht auf sich sitzen lassen und den Einsatz erhöhen. Das Mindeste sei eine erneute Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen, tönte es aus Denkfabriken und Redaktionsstuben.

Doch den Gefallen tat Putin ihnen nicht. Viel weniger aggressiv als erwartet, lauteten die ersten erstaunten Reaktionen im Westen. Er hat nur wiederholt, was er schon tausendmal gesagt hat, nur in milderer Form. Was war denn das für ein Putin?

Ein schwacher Putin. Denn der Kremlchef hat nicht nur die vermeintlichen Besserwisser im Westen mit seinen Ausführungen enttäuscht, sondern auch den eigentlichen Adressaten seiner Ansprache: sein eigenes Volk. Er bot den Russen nichts von dem, was sie erwarteten, ausser einem trotzigen «Weiter so». Es ist Krieg, und es wird noch lange Krieg sein. Gewöhnt euch dran – egal, ob ihr milliardenschwere Oligarchen seid oder ein durchschnittlicher Iwan Iwanowitsch in Wladimir oder Wladiwostok.

Auch nach einem Jahr ist der Krieg im russischen Alltag noch nicht wirklich angekommen. Der Ausfall westlicher Importe wurde ausgeglichen, mit dem Rubel blieben Gehälter und Renten stabil, und Urlaub kann man auch im eigenen Land oder in Trinidad, Thailand oder der Türkei machen. Sicher, es sind Zehntausende von jungen Männern im Kampf in der Ukraine gefallen, und sie haben Hunderttausende Eltern, Geschwister, Freunde und Partner. Aber das Land ist so weit, und bis jetzt sind Leid und Trauer hauptsächlich in entlegenen Gegenden angekommen und nicht in den Metropolen Moskau oder Sankt Petersburg.

Gleichwohl ging Putin auf wirtschaftliche Schwierigkeiten ein, doch eher nebenbei und mit einem positiven Spin: Die Krise sei eine Chance für russische Start-ups und für Investoren. Kein Russe werde eine Träne für einen Oligarchen vergiessen, dessen Jacht im Westen beschlagnahmt, dessen Konto eingefroren wurde. Mit dieser populistischen Note klang schon der Wahlkampf an, in den Putin nächstes Jahr einsteigen wird.

Dennoch ist der Krieg präsent in Russland, und die Meinungen, Hoffnungen und Erwartungen der Russen zerfallen, grob gesagt, in zwei Hälften: Die einen hadern mit der ihrer Ansicht nach schwachen Leistung der eigenen Armee. Wie kann es sein, dass ihre grossartige Armee den ukrainischen Floh nicht längst zerdrückt hat? Warum werden nicht Kiew, Odessa oder Lwiw bombardiert?

Diese Gruppe wirft Putin immer offener vor, selbst ein Schwächling zu sein. War es nicht er, der zugelassen hatte, dass Biden die Ukraine besuchen konnte – nachdem Washington Moskau von der Reise unterrichtet hatte? Warum zündet er nicht die grossen Bomben?

Absichten des Westens

Der andere Teil der russischen Bevölkerung mag zwar die Lesart des Kreml über die Notwendigkeit der «Speziellen Militäroperation» einsehen. Auch er ist überzeugt von finsteren, bösen Absichten des Westens gegen sein Land. Aber diese Menschen folgen einem zutiefst russischen Reflex und wünschen sich eine friedliche Lösung – so schnell wie möglich und vor allem mit einem slawischen Brudervolk.

Putin aber hatte für keine der beiden Gruppen etwas im Angebot. Er bot weder die Aussicht auf einen schnellen, triumphalen Sieg noch die Möglichkeit eines Waffenstillstands, geschweige denn Verhandlungen.

Weder die Falken noch die Tauben kamen auf ihre Kosten. Stattdessen hatte er die schlimmste aller Botschaften: Der Krieg werde noch lange dauern – ohne Sieg, Niederlage oder Frieden.

Die 3 Top-Kommentare zu "Zahmer Kriegsherr: Mit seiner Rede hat Putin alle enttäuscht. Westliche Kriegstreiber, aber auch sein eigenes Volk. Denn er versprach weder Sieg noch Frieden, nur ein trotziges «Weiter so»"
  • Edmo

    Putin hat sich als Staatsmann mit Format präsentiert. Er hat keine falschen Versprechungen abgegeben, sondern die Lage der Nation erläutert. Wer seine Worte versteht, begreift auch, weshalb er diesen Krieg nicht unnötig eskalieren lassen will und dass es der Westen ist, der mit unsäglich viel Geld für die maximale Verlängerung des Krieges sorgt. Putin hat dem Volk mit seiner Rede auch Perspektiven eröffnet. Ich habe im Westen schon lange keinen Präsidenten mehr ähnlich gescheit reden gehört.

  • FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK

    Ich habe Putins Rede auf RT DE gesehen. Der Mann ruht in sich selbst und geht die Probleme rational und mit Ausdauer an. Putin ist beeindruckend und ein Kontrast zu den westlichen häuchlerischen Politikern mit Ihren HassBotschaften und Verachtung für die eigenen Völker. Da Putin und Xishinping die längere Ausdauer und Amtszeiten haben wird der Westen als Verlierer vom Feld ziehen.

  • finn

    Das Entscheidende: Putin vertritt die Interessen seines Landes und seines Volkes. Das Konglomerat der Feinde Russlands vertritt weder die Interessen ihrer Länder, noch ihrer Völker, sondern ausschließlich den Wahn von Soros & Co.