Wir erinnern uns: Das Ziel der Bewegung Fridays for Future (FFF) ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. Das ist sinnvoll. Der Klimawandel ist ein dringendes Problem, und darum sind den Aktivisten die Sympathien breiter Teile der Bevölkerung anfangs rasch zugeflogen. Auch meine: Junge Leute, die sich für ihre Anliegen engagieren, das finde ich grossartig.

Es dauerte nicht lange, und die FFF vermischte sich mit extremeren Bewegungen wie etwa Extinction Rebellion. Auf der Agenda stand Strassen besetzen, Städte lahmlegen. Man bekam eine Vorahnung der sich radikalisierenden Entwicklung. Dann haben sich die FFF-Aktivisten vermehrt auch anderen Themen verschrieben: Antikolonialismus, Antikapitalismus. Auf ihrem Twitter-Account posten sie Dinge wie: «Dein ‹Klimaschutz› ist halt nichts wert, wenn er nicht antikapitalistisch, antirassistisch, antikolonial und antifaschistisch ist.» Oder: «Gibt es grünen Kapitalismus? Ich glaube nicht. Natürlich ist die Klimabewegung antikapitalistisch.»

Bei ihrem Streik-Aufruf vom vergangenen September schrieben sie auf ihrer Webseite von der «Gier» der Eliten, die verantwortlich seien für die Erwärmung des Planeten, fordern Reparationszahlungen der «reichsten Elite» und Schuldenerlass. «Uproot the system!» Sie wollen das System entwurzeln. Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer äusserte bei Watson: «Die Wurzeln der Klimakrise liegen in Machthierarchien von Männern über Frauen, von weissen Menschen über people of colour, von Männern über die Natur.» Wie kann man auch annehmen, sie lägen in der Industrialisierung – shame on me! Vergangene Woche hat FFF eine Musikerin von ihrem Event ausgeladen, weil sie «als weisser Mensch Dreadlocks» trägt. Das sei kulturelle Aneignung. Sollte sie sich jedoch bis Freitag dazu entscheiden, ihre Haare abzuschneiden, würde man sie «auf der Demo spielen lassen».

Filtern wir das Wichtigste heraus: Jung sein ist toll, älter sein ist entspannend. Und naiv sein ist nichts Tragisches, ich bin in manchen Dingen schrecklich naiv. Klimaschutz geht einzig durch Abschaffen des Kapitalismus? Verzwickt nur, dass sie selbst den Instagram-Lifestyle mit all seinen modernen Annehmlichkeiten führen. Reisen, neuste Apple-Produkte, im grossen, elterlichen Stadthaus leben. Beobachte ich junge Klimaaktivisten, wüsste ich nicht, auf welche ihren Lifestyle einschränkenden Dinge sie verzichten – so, wie sie es ja von den anderen fordern. Sie profitieren von allem, was das Leben im 21. Jahrhundert zu bieten hat. Und das ist auch okay. Es demonstriert eben zugleich, wie ohnmächtig wir sind; einen Lebensstil kann man nicht so einfach aufgeben. Ich würde Leon-Finn also mit sanfter Miene sagen: Schau, digga, du bist das Sinnbild des Kapitalismus, du konsumierst von morgens bis abends. Wohne auf einem Hof, züchte Hühner, lebe wirklich nachhaltig. Dann kannst du die Gesellschaft und den Kapitalismus anklagen.

Kulturelle Aneignung? Gemäss dieser Logik dürfte auch niemand mathematische Formeln der Babylonier verwenden. Dürften nur Schwarze rappen. Bluejeans wurden ursprünglich hergestellt für Minenarbeiter. Und sollen wir jetzt alle nur noch Jodelmusik hören und Trachten tragen? Es ist eine Denkweise auf Irrwegen, denn damit gesellt man sich zu der Reihe von Leuten, denen kulturelle Vermischung gänzlich widerstrebt, die alles strikt nach Rassen trennen wollen. Alles verschmilzt doch miteinander, alle «borgen» von anderen. Indem man Produkte von anderen Kulturen benützt, zollt man ihnen ja gerade das Ansehen, das sie dafür verdienen. Die Ironie daran: Oft sind die Aktivisten gar nicht Teil der Kultur, von der sie behaupten, sie werde angeeignet.

Die FFF ist von einem achtbaren Schulstreik fürs Klima zu einer fragwürdigen Botschafterin für sehr linke, teils radikale Anliegen mutiert. Oder anders formuliert: Einige ihrer Aushängeschilder haben die Bewegung gekidnappt. Natürlich sprechen wir nicht pauschal von allen Aktivisten; in jeder grossen Gruppe vermengen sich unterschiedliche Haltungen. Aber die prominenten Gesichter geben ja den Ton an. Vielleicht kann man sich darum die Frage stellen, ob sie den Klimawandel etwa (mit)benützen, um ihre Vorstellungen einer neuen Gesellschaft durchzusetzen.

Diese Entwicklung finde ich schade. Nichts gegen linke Anliegen, einige sind durchaus sinnvoll. Aber dieser unbändige Drang, die Apokalypse heraufzubeschwören, mit überheblichem Ton Forderungen stellen, die für viele realitätsfern sind, das permanente Anklagen, die Begeisterung für einen Systemumbruch, Leute ausladen wegen der falschen Frisur – natürlich ist das eine Simplifizierung, aber eigentlich ist es das: Da gehen viele Menschen nicht mehr mit. Für ihre Klimaziele ist das alles kontraproduktiv. Denn will man etwas erreichen, ist es von Vorteil, möglichst die ganze Gesellschaft bei seinem Anliegen miteinzubeziehen. Das funktioniert mit Kompromissen, moderatem Ton und indem man Leute nicht ausgrenzt. Ist vielleicht nicht so swag wie Streiks und Auftritte in TV-Shows. Aber hey bro, nur wer hustled, hat Erfolg AF.