Es war eine Szene wie in den courtroom movies aus Hollywood. Oben auf der Empore thront der Richter. Er blickt gestreng auf den Beschuldigten hinab, der unter ihm auf seinem Stuhl sitzt.

In unserem Fall spielte die Szene im Zürcher Obergericht. Oben auf dem Podest sass jeweils Peter Marti, der ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes. Unten sassen Tages-Anzeiger-Journalisten wie Thomas Knellwolf, Kurt Pelda, Titus Plattner und Res Strehle sowie NZZ-Redaktoren wie Marcel Gyr und Marc Tribelhorn.

Die Journalisten waren als Zeugen geladen. Manche fühlten sich allerdings eher als Angeklagte. Staatsanwalt Marti wollte von ihnen wissen, wie sie 2020 zu ihren Informationen zur Crypto-Affäre gekommen waren, bei der eine Zuger Firma in Spionageverdacht geriet. Marti pochte auf Amtsgeheimnisverletzung. Die Journalisten, mit Verweis auf den Quellenschutz, verweigerten die Antwort.

Seit das Medienmagazin Persönlich letzte Woche die Befragung der Journalisten publik machte, ist die Verlagsbranche in ziemlicher Aufregung. Denn Staatsanwalt Marti hat sich offenbar in den Kopf gesetzt, den Schweizer Journalisten ihr sinistres Handwerk zu legen. Er vermutet bei ihnen intransparente Tauschgeschäfte: politische Informationen gegen publizistische Gefälligkeiten.

Das Interessante daran ist, dass Marti nicht völlig unrecht hat.

Peter Marti, ein pensionierter Oberrichter aus Winterthur, wurde Anfang 2021 als Sonderermittler des Bundes eingesetzt. Er hatte abzuklären, wie ein Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation zur Crypto-Affäre zum Tages-Anzeiger und zur NZZ gelangt war. Der Kern des Berichts war allerdings ohnehin zur Publikation freigegeben. Es ging also um eine Bagatelle.

So funktioniert seit je die Enthüllungsindustrie. Sie ist ein Handelsgeschäft.

Doch dann nahm Sonderermittler Marti Witterung auf. Er dehnte seine Detektivarbeit von Crypto auf Corona aus. Er vermutete, dass in der Pandemie anrüchige Deals zwischen Presse und Politik gelaufen seien, konkret, ein Tausch von amtlichen Interna gegen journalistische Gegengeschenke.

Marti zitierte dazu gar Marc Walder zur Anhörung, den langjährigen CEO von Ringier. Immerhin, diesmal legte Marti Wert auf gehobenes Ambiente. Er lud Walder nicht ins alte Obergericht vor, sondern ins hochmoderne Zürcher Polizei- und Justizzentrum, das erst 2022 eröffnet wurde.

Ich war nicht dabei, aber es ist klar, was Marti wissen wollte. Gab es bei der Corona-Strategie Absprachen zwischen dem Departement von Bundesrat Alain Berset und dem Verlagshaus Ringier? Natürlich dementierte Walder.

Nun, die Sachlage ist etwas komplexer. Ringiers Blick hatte immer wieder exklusive Informationen aus dem Berset-Departement. Oft wusste das Blatt schon ein, zwei Tage im Voraus, was Berset am Mittwoch im Bundesrat beantragen würde. Es waren Informationen zu Maskenpflicht, Impfungen, Zertifikaten, Lockdowns und Home-Office. Auch beim Tages-Anzeiger war man oft ähnlich gut und ähnlich vorzeitig im Bilde, was sich bei Berset tat.

Es ist klar, dass die Informationen nur von Bersets Mitarbeitern stammen konnten, ich vermute mal, mit dem Segen des Chefs. Für sie waren die Medien das ideale Testgelände. Sie steckten den Journalisten exklusiv zu, was an Corona-Massnahmen geplant war, und die Blätter veröffentlichten mit stolzem Tamtam die Pläne. An den nachfolgenden Reaktionen von Publikum bis Parteien konnte das Berset-Lager ablesen, wie hoch die Akzeptanz seiner Ideen war und wo es Korrekturen brauchte – Medien als Tuner von Bersets Corona-Strategie.

Wenn die Kooperation gut klappte, gab es in der Regel aus den Redaktionen noch etwas Zuckerguss für das Ego der Gegenseite. Dann wurde Berset im Blick bejubelt als der «umsichtige Landesvater». Der Tages-Anzeiger feierte ihn als «Helden der Krise».

So funktioniert seit je die Enthüllungsindustrie. Sie ist ein Handelsgeschäft. Informationen haben stets einen Gegenwert. Der Gegenwert wird seltener materiell, sondern meist ideell honoriert.

Sonderermittler Marti hat inzwischen Hunderte von Stunden an Honorar verrechnet. Er poliert seine Pension damit ganz schön auf. Irgendwann wird er für das Geld liefern müssen.

Ich denke, Martis Lieferung wird bescheiden sein. Medien und Politik arbeiteten zum gegenseitigen Nutzen mitunter eng zusammen, wird er sagen. Na und? Das ist seit Jahrhunderten so. Strafbar ist das nicht.