Was hat Karl Marx mit der Abschaffung der Stempelsteuer zu tun? Droht uns Klassenkampf? So wie das die Aargauerin Nationalrätin Marianne Binder-Keller in der «Arena» vom letzten Freitag behauptet hat?

Marx und vorab Friedrich Engels haben, was die Dynamik des Kapitals betrifft, vieles richtig analysiert. Es lohnt sich, ab und zu das «Kommunistische Manifest» nachzulesen. Selbst viele Rechte wie Tito Tettamanti loben die Trennschärfe der Analysen.

Marx hinterliess ein unendliches Puff an theoretischen Skizzen. Engels, der ihn zeitlebens finanzierte, versuchte nach dem Tod von Marx, dessen Gedankenwelten halbwegs strukturiert zusammenzufassen.

Beide hinterliessen Steinbrüche voller spannender Analysen, aber keine nur halbwegs brauchbaren Anleitungen, wie denn der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus und dessen Ablösung durch den Kommunismus samt Absterben des Staates aussehen sollte.

Die Politik der KP Chinas, die sich trotz allem auf Marx, Engels und Mao beruft, hat mit dem Absterben des Staates so viel zu tun wie Coca-Cola mit gesunder Ernährung. Der starke Staat fasziniert viele Rechte. Auch in der Schweiz. Sie glauben – so etwa Magdalena Martullo-Blocher – China habe die beste Regierung der Welt. Motto: mehr Staat, mehr Partei, weniger Freiheit.

Leider haben die chinesischen Kommunisten bisher nicht einmal einen anständigen Impfstoff entwickelt. Dies im Gegensatz zum kleinen Kuba, das in Sachen Medizin und Biotechnologie weit flexibler und erfolgreicher ist.

Widersprüche prägen Gesellschaften. So etwa der Widerspruch zwischen denen da oben und denen da unten.

Basis der theoretischen Arbeiten von Karl Marx war immer auch die Analyse der konkreten Situation. Auf allen Gebieten. Er war ein Zeitungsfresser und ein Bücherwurm in einem. Und zweifelte, ja verzweifelte an der Widerspenstigkeit der vorhandenen Daten.

Das Narrativ der Bürgerlichen – und auch unserer Aargauerin – ist klar: Dem Kapital geht es schlecht. Deshalb muss die Stempelsteuer abgeschafft werden. Sonst meiden vorab Start-ups die Schweiz. Es gehe um die Stärkung der Wirtschaft.

Für Marx waren Arbeitgeber die wahren Arbeitnehmer, weil sie sich einen Teil der Arbeit, des von den Lohnabhängigen geschaffenen Mehrwerts aneigneten. Der Wirtschaft – genauer den Superreichen und den Stinkreichen – geht es heute trotz Stempelsteuer sehr gut. Sie konnten in der Krise ihre Einkommen und Vermögen massiv steigern. Betroffen von der Covid-Krise waren die Haushalte mit kleinen Einkommen und ein paar Hudel-Branchen wie Kultur, Event, Gastro- und Hotelbetriebe. Sie sind auf einen starken Staat angewiesen, und der will auch irgendwie finanziert werden.

Widersprüche prägen Gesellschaften. So etwa der Widerspruch zwischen denen da oben und denen da unten. Oder der Widerspruch zwischen Stadt und Land, zwischen wirtschaftlichen Hotspots und ländlicher Trostlosigkeit.

Die Wirtschaft des Kantons Zug wird – falls denn die Stempelsteuer abgeschafft wird – pro Einwohner um Fr. 432.70 entlastet. Die Wirtschaft des Kantons Aargau um lächerliche Fr. 6.24. Wer die Stempelsteuer abschafft, hilft den Superreichen und Stinkreichen aus dem Kanton Zug. Nicht aber den Unternehmern im Kanton Aargau. Es geht um den Stadt-Land-Graben.

Bei Sandro Brotz in der «Arena» war der Aargau mit dem freisinnigen Parteipräsidenten Thierry Burkart und unserer Marxismus-Expertin Marianne Binder-Keller vertreten. Beide wollen mehr Entlastung für jenen Kanton Zug, in dem Menschen mit normalen Einkommen keine Wohnungen mehr mieten können. Weil zu teuer.

Marianne Binder-Keller behauptet, wer gegen diese Politik sei, betreibe in der Logik von Karl Marx Klassenkampf. Ruedi Strahm verlangte, dass sie diese Aussage zurücknehme. Erfolglos. Denn die Aargauerin hat ja recht.

Klassenkampf – obwohl das Wort zugegebenermassen etwas martialisch daherkommt – bedeutet nichts anderes als die Austragung unterschiedlicher Interessen. Darum geht es am 13. Februar 2022. Wer diese erste Schlacht verliert, hat für die weiteren wirtschaftlichen und sozialpolitischen Auseinandersetzungen schon mal die Nummer zwei auf dem Rücken.

 

Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz