Buben im Schulalter wollen Pilot werden. Oder Feuerwehrmann. Oder Lokomotivführer. Jürg Krumm hegte schon mit dreizehn Jahren in seinem Wohnort Unterengstringen einen ganz anderen Wunsch: «Ich sah den Film ‹Eine Frage der Ehre›, in dem sich Tom Cruise als Anwalt für zwei Marinesoldaten starkmachte. Ab diesem Moment war für mich klar: Ich will mich für die Gerechtigkeit und für das Leben der Mitmenschen einsetzen.»

Heute ist Krumm 43 Jahre alt und Anwalt in der Kanzlei Landmann Rechtsanwälte AG. Und er bewegt sich auf jenem Terrain, das der Patron der Kanzlei derart konsequent und medienwirksam bewirtschaftet, dass Valentin Landmann längst weit über die Branchengrenzen hinaus zu einer bekannten Persönlichkeit geworden ist. Wie sein Chef setzt sich Krumm für jene Menschen ein, die sich an der Grenze zur Halbwelt bewegen, die Gefahr laufen, selber mit der Illegalität zu kollidieren, die in der Öffentlichkeit kaum Kredit geniessen und in Rechtsfragen oft alleingelassen werden: Erotikunternehmer, Sexarbeiterinnen, Motorradrocker, Massnahmepatienten, Freiheitstrychler. «Jeder Mensch hat das Recht auf juristische Verteidigung», sagt Krumm. Grundsätzlich werde in ihrer Kanzlei niemand abgewiesen – es sei denn, das Anliegen sei wider- oder blödsinnig.

Dissertation über Prostitution

Krumm verfolgte seinen Berufswunsch von Anfang an mit grosser Konsequenz. 2006 erlangte er an der Universität Zürich das Lizenziat, dann bestand er die Anwaltsprüfung – 2014 schliesslich wurde er mit magna cum laude zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert. In dieser Zeit sammelte er als Assistent von Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch wichtige Erfahrungen – und lernte dabei eher zufällig Landmann kennen. Mit Jositsch erstellte er für ihn ein rechtliches Gutachten. Er überzeugte nicht nur die Gegenpartei so stark, dass das Verfahren in einem aussergerichtlichen Vergleich beigelegt wurde. Auch Landmann war angetan vom jungen Juristen.

Dass ihn auch inhaltlich damals schon einiges mit Landmann verband, zeigt der Titel seiner Dissertation: «Die Zukunft des Prostitutionsstrafrechts». In diesem Bereich sei derzeit vieles im Fluss – und dies nicht zum Vorteil der Direktbetroffenen, so Krumm: «In ganz Europa bestehen Tendenzen, die das Sexgewerbe wieder verbieten wollen.» Es sei eine bedenkliche Entwicklung. «Probleme lassen sich so nicht lösen. Im Gegenteil: Die Frauen werden in die Anonymität und in die Illegalität gedrängt.» Auch zu anderen traditionellen Kunden von Landmann hat Krumm einen guten Zugang gefunden – zu den Motorradrockern der Hells Angels beispielsweise, die sich immer wieder Schlachten mit rivalisierenden Gangs liefern und selbst mit ihren schweren Maschinen dem Dunstkreis der organisierten Kriminalität nicht entfliehen können. Krumm bezeichnet sich als «Vertrauensanwalt» einzelner Mitglieder der jungen Garde. Seine Rechtfertigung, für Menschen einzustehen, die selber etwas auf dem Kerbholz haben, ist simpel und konsequent, aber für Aussenstehende gelegentlich auch etwas fragwürdig: «Wir wollen mit unserer Kanzlei für alle da sein.»

Von seinem Auftreten her entspricht Krumm nicht dem zugeknöpften und um Diskretion bemühten Anwalt. Den Umgang mit den Medien pflegt er ähnlich offen und locker wie sein Chef: «Wenn Anfragen von Journalisten eintreffen, beantworte ich sie in der Regel. Ich rate auch meinen Klienten, offen zu kommunizieren. Sonst gibt man die Informationshoheit aus der Hand.» Optisch unterscheidet sich der Zürcher spätestens dann von den meisten seiner Berufskollegen, wenn er die Hemdsärmel nach hinten rollt oder den Krawattenknopf lockert. Krumm ist flächendeckend tätowiert: «Vom Handgelenk bis zu den Fussknöcheln», wie er sagt. Auf die Frage, ob dies beruflich nicht ein Imageproblem erzeugen könne, sagt er: «Im Gegenteil, im Milieu oder in anderen Subkulturen kann dies auch Vertrauen schaffen.» Gleichzeitig legt Krumm aber Wert auf die Feststellung: «Als Anwalt ist es wichtig, Berufliches und Privates zu trennen.» Zu den Klienten müsse ein Vertrauensverhältnis bestehen. Aber es sei nicht dienlich, wenn man sich als Privatperson zu nahe auf die Fälle einlasse.

So oder so, Jürg Krumm ist «Strafverteidiger mit Leib und Seele», wie er über sich selber sagt. Dies sei wohl auch die stärkste Verbindung zu Valentin Landmann, mit dem er derzeit an einem Buch arbeitet, das als «Leitfaden der Strafverteidigung» verstanden werden kann. Unabhängig davon sei es ihm ein grosses Anliegen, das «juristische Lebenswerk» des Kanzleigründers weiterzuführen.

Valentin Landmann, 72, ist einer der prominentesten Strafverteidiger des Landes. Über Jürg Krumm sagt er: «Der junge Assistent Dr. Jürg Krumm wies seinen Professor auf dessen Frage, was er nach der Assistenzzeit machen wolle, darauf hin, dass er am liebsten zu Valentin Landmann als Rechtsanwalt stossen würde. Daniel Jositsch fand, das könnte passen, und kontaktierte mich. Die Zusammenarbeit gedieh hervorragend. Wir lehnen zum Beispiel beide das Dogma ab, dass ein Anwalt immer zur Aussageverweigerung raten müsse. Es gibt nicht häufig Leute, die von Anfang an das Feeling für das Richtige in einem Strafverteidigungsfall haben. Krumm hat es.»