Juliane Marie Schreiber: Ich möchte lieber nicht. Piper. 208 S., Fr. 25.90

Wir leben in einer Epoche des positiven Denkens. Juliane Marie Schreiber, Politologin und Journalistin, schreibt sogar vom «Terror des Positiven». Positives Denken gelte mittlerweile als Allheilmittel für das Leid der Welt. Insbesondere die Werbung beweist das täglich, und vor allem allabendlich im TV. Dazu kommen eine einigermassen alberne Ratgeberliteratur und nervige Populärtherapeuten in den Medien. «Der gesellschaftliche Druck, unter allen Umständen positiv zu sein, ist so hoch wie noch nie. Glück ist zum Fetisch geworden. Unternehmen, Denkfabriken, Coaches, Nachbarn und vor allem die Werbung terrorisieren uns damit, positiv zu sein.»

Wir haben ganz einfach nicht alles in der Hand; wir sind höheren Mächten ausgeliefert.

Das aber – so belegt Schreiber auch mit wissenschaftlichen Untersuchungen – führt nicht nur nicht zum gewünschten Ziel, sondern ist meist sogar kontraproduktiv. Positives Denken setze uns nämlich gleich dreifach unter Druck: «Wir sind unglücklich, wenn wir uns nicht gut fühlen. Wir machen uns ausserdem einen Vorwurf, dass wir unser Leid nicht als Chance begreifen. Und wir halten anderen gegenüber ständig unsere Glücksfassade aufrecht.» Vor allem Letzteres sei über alle Massen anstrengend.

An der Wirklichkeit vorbei

Das positive Denken und die damit verbundene Glückspsychologie verfehlen aber auch die Realität: «Existenzielle Schicksalsschläge gehören zum Leben dazu. Alle Menschen erfahren Leid, einige mehr, andere weniger.» Positives Denken bindet uns stattdessen in den Irrglauben, dass alles mach- und gestaltbar sei. Aber dem ist nicht so, wie es eigentlich auch der Erfahrungshorizont von uns allen deutlich zeigt. Wir haben ganz einfach nicht alles in der Hand; wir sind höheren Mächten ausgeliefert, und wenn es – ganz banal – auch nur ein Gewitter ist. Oder der Stau im Verkehr. «Tod, Krieg, Leid, Hunger, Gewalt, das alles hängt nicht von der richtigen inneren Einstellung ab. Es gibt viele weitere Fährnisse, bei denen unsere innere Einstellung absolut nichts ausrichten kann.» Wer diesen harten Realitäten mit positivem Denken begegnen will, lebt nicht nur an der Wirklichkeit vorbei, sondern macht sich sogar unglücklich.

Insofern spiegeln Glückspsychologie und positives Denken den Menschen nicht nur einen Irrglauben vor, sondern führen sie auch de facto in die Irre. Wer nach ihren grinsenden Botschaften lebt – so belegt die Autorin –, lebt nicht nur weniger zufrieden, sondern auch weniger lang. Erfolgreicher ist das Lebensmodell des «depressiven Realisten», wie das Schreiber nennt. «Der Glücksterror nervt, macht alle irre und baut einen sinnlosen Erwartungsdruck auf. Er verlagert politische Probleme auf eine psychische Ebene und macht so den Einzelnen für sein Schicksal komplett verantwortlich. Kurzum: Die Glückssuche macht unglücklich.» Viel gesünder ist es, auch manchmal zu schimpfen, den Ärger zu artikulieren, statt schweizerisch die Faust im Sack zu machen, des Öfteren auch mal zu fluchen, und: Wut ist gut. Wer das berücksichtigt, lebt länger, besser, zufriedener und vor allem authentisch – im richtigen Leben und nicht am Leben vorbei.

Die Schlussfolgerung: «Zum Leben gehört Negativität immer dazu. Negatives ist der Motor der Geschichte. Den Fortschritt verdanken die Menschen den Unzufriedenen. Ohne Nein kann es keine Freiheit geben.» So ist es wohl. Das ist ein sehr gescheites Buch, lebensnah, lebenswichtig, sehr erfrischend im ganzen Glücksquark der Epoche, vielleicht manchmal etwas flapsig, aber das ist verzeihbar.

Die 3 Top-Kommentare zu "Positives Denken macht unglücklich"
  • yvonne52

    Das sehe ich auch so. Es gibt Schicksalsschläge, die einen umwerfen können. Wenn dann noch der Druck von aussen kommt, alles doch auch positiv zu sehen, ist das ein "insult on top of the injurie" und führt zu Verdrängung, was sehr ungesund ist. Nein, es ist wahrhaftig nicht alles positiv auf dieser Welt.

  • bergleite.effelter

    Das Diktat der Machbarkeit. Nur die richtigen Gedanken haben, und schon ist auch die größte Katastrophe noch positiv, denn Bescheidenheit und die Einsicht nicht für alles eine menschliche Erklärung und eine Lösung zu haben ist verpönt. Ich finde es unredlich Probleme, welcher Art auch immer, auf die psychische Ebene zu verschieben. Dies verhindert mögliche Handlung und praktische Problemlösung. Unerbittlicher Positivismus kann so toxisch wirken.

  • RMHollenweger

    Es gibt jene, die sind schon glücklich, wenn ihre Kinder nicht verhungern. Dann solche, wenn sie viele todbringende Waffen liefern oder solche, wenn sie diese bekommen. Dann die, welche glücklich werden, wenn sie den ganzen Tag Lügen nacherzählen und damit Geld bekommen. Die grossen leidenschaftlichen Manipulatoren mit all ihren Dienern. Ich bin schon glücklich, wenn ich Menschen begegnen darf, welche Mensch geblieben sind. Das sind dann eher die bescheidenen, leisen und nicht manipulierbaren.