Eine politische Standortbestimmung beginnt immer im eigenen Herzen:

– Die Ehe ist für mich die liebende Verbindung von Mann und Frau mit der Offenheit für leiblichen Nachwuchs.

– Ich mache mir Sorgen über die Geburtenarmut in Deutschland und Europa und den Leistungsverfall unseres Bildungssystems.

– Ich bin gegen kulturfremde Masseneinwanderung und sehe mit Sorge die Gefahr der Ausbreitung des politischen Islam unter unseren Migranten und deren Nachkommen.

– Ich bin der Meinung, dass in der modernen Welt alle souveränen Staaten grundsätzlich die Möglichkeit haben, über gute Regierungsführung und qualifizierte Bildung das Los ihrer eigenen Bevölkerung zu verbessern und Wohlstand zu schaffen. Einer massenhaften Migration bedarf es dazu nicht.

– Die Zukunft Europas sehe ich in einem Europa der Vaterländer, das bei Fragen gemeinsamen Interesses – etwa Wettbewerbspolitik, Umweltstandards, Verteidigungspolitik – flexibel und effizient kooperiert.

– Der europäische Superstaat ist für mich ein Irrweg. Bereits der Euro – so wie er umgesetzt wurde – war ein Fehler. Er hat Deutschland nicht genützt und Italien schwer geschadet.

Solche Ansichten standen 1973 meiner Aufnahme in die SPD nicht im Wege. Sie werden sicherlich auch heute noch von 30 bis 50 Prozent der Bürger geteilt. Nur in den etablierten Parteien, in den Tageszeitungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben sie keine Mehrheit mehr. Welche politische Partei können konservativ gestimmte Bürger heute in Deutschland wählen? Wer vertritt ihre Weltsicht? Mit «links» oder «rechts» hat dies recht wenig zu tun.

Als im Frühling 2013 die AfD gegründet wurde, traten Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel an mich heran, ob ich nicht mitmachen wolle. Ich lehnte ab. Zum einen hoffte ich nach wie vor auf Einsicht in die Wirklichkeit innerhalb der etablierten Parteien, darunter auch meine damalige Partei, die SPD. Zum anderen hatte ich die Befürchtung, dass die Neugründung in grosser Zahl Querulanten, Chaoten und Radikale anziehen und für die Konsolidierung viele Jahre brauchen würde, falls sie überhaupt gelang. Mit dieser Befürchtung behielt ich leider recht.

Je am linken und rechten Rand des politischen Spektrums gibt es Radikale, die die Demokratie innerlich verachten und an ihre Stelle ihr eigenes totalitäres Weltbild setzen wollen. In dem einen Fall ist dies ein vulgärer Marxismus, in dem anderen ein vulgärer Nationalismus. Die linke Diktatur in Ostdeutschland wurde nach 1945 unter dem Gewaltschirm der sowjetischen Militärmacht eingeführt, aber die rechte Diktatur war 1933 eine deutsche «Eigenentwicklung»: Die bürgerliche Mitte und die Deutschnationalen redeten sich die von Hitler und den Nazis ausgehenden Gefahren schön und öffneten ihnen im Januar 1933 gedankenlos die Tore zur Macht. Das bleibt das deutsche Trauma, und um seine Wiederholung zu verhindern, gibt es den deutschen Verfassungsschutz.

Eine konservative deutsche Partei, die das eingangs skizzierte Weltbild vertritt, könnte in der rechten Mitte der Gesellschaft Millionen Bürger an sich binden und doch einen sicheren und inhaltlich überzeugenden Abstand vom rechten Rand der Gesellschaft halten. Aber solch eine Partei muss sich aus tiefster innerer Überzeugung und mit politischer Verve von allem fernhalten, was bestenfalls einen fragwürdigen Nostalgiecharme hat und schlimmstenfalls der Bezug auf unselige Zeiten ist: Politische Treffen am Kyffhäuser im Schatten Kaiser Barbarossas, das Abfeiern von tausend Jahren deutscher Geschichte im Fackelschein vor dem Magdeburger Dom, die Zweideutigkeit vom «Denkmal der Schande», zwölf Jahre Nazi-Verbrechen als «Vogelschiss» et cetera können in der Summe nicht durchgehen als politische Naivität. Hier wird politisch im Trüben gefischt auf der Suche nach der allerletzten Stimme am rechten Rand.

Auch ist das novellierte Bundesimmissionsschutzgesetz, über das man streiten kann, kein neues Ermächtigungsgesetz, wie aus der AfD behauptet wurde. Wer so etwas sagt, will die Demokratie diffamieren oder die Nazi-Diktatur verharmlosen. Das Maskentragen mag in der Pandemie nutzlos, der Lockdown übertrieben sein. Aber es handelt sich um zeitlich begrenzte Entscheidungen demokratisch gewählter Organe. Wer hier die «Systemfrage» stellt, ist entweder Fanatiker oder Brunnenvergifter.

Auf dem Parteitag in Kalkar hat der Vorsitzende Jörg Meuthen die Frage aufgeworfen, wohin die AfD denn gehen will. Wird sie zur konservativen Partei der rechten Mitte, die fest in der Demokratie verwurzelt ist? Diese Partei wird in Deutschland dringend gebraucht. Oder wird sie zur neuen NPD am rechtsradikalen Rand? Davor bewahre uns der Verfassungsschutz.