Heute geht es um ein Modethema. Es geht um Verschwörungstheorien. Im Mittelpunkt steht das Medienhaus Ringier.

Die ärgste Verschwörungstheorie, die es über Journalisten gibt, ist die Theorie der Fernsteuerung. Journalisten verbreiten demnach nicht die Wahrheit, die sie kennen. Sie verbreiten stattdessen Lügen, die man ihnen von oben diktiert.

Im früheren Ostblock – von der Prawda in der UdSSR bis zu Neues Deutschland in der DDR – war diese Theorie die übliche Praxis. Journalismus war Staatspropaganda.

In Schweizer Verlagen hielt ich so etwas für undenkbar. Bis letzte Woche. Da tauchte ein Video von Marc Walder auf, dem CEO und Mitinhaber von Ringier. Es zeigt Walder, vor knapp einem Jahr, bei einer Diskussion im kleinen Kreis eines Management-Verbands. Das Magazin Nebelspalter machte das Video öffentlich.

«Auf meine Initiative», sagt Ringier-Chef Walder im Video selbstbezogen, gebe es auf seinen Redaktionen eine Anordnung von oben. Sie lautet: «Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.»

Diese regierungsnahe Linie rund um die Corona-Politik, so Initiant Walder, gelte «in allen Ländern, wo wir tätig sind». Ringier-Regierungsnähe gilt im internationalen Konzern damit auch für Potentaten wie Viktor Orbán in Ungarn und Mateusz Morawiecki in Polen bis hin zu Militärputschisten wie Muhammadu Buhari in Nigeria und Min Aung Hlaing in Myanmar.

Marc Walder ahnte wohl, wie er sich mit seiner Direktive des flächendeckend-staatstreuen Journalismus auf schlüpfriges Terrain begab. Die Zuhörer seines Video-Talks bat er darum um Diskretion: «Da wär ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt.»

Walder, nicht frei von Panik, sah den Kampf gegen Corona zunehmend als vaterländische Aufgabe.

Warum, so fragte man sich, riskieren Ringier und dessen CEO mit solchem Versteckspiel ihre publizistische Glaubwürdigkeit?

Es gibt, wie immer, zwei Möglichkeiten. Wir können den Fall skandalisieren, oder wir können den Fall analysieren.

Wenn wir den Fall lauthals skandalisieren, dann reden wir von einem Verrat am freien und unabhängigen Journalismus. Der Chef eines Medienunternehmens zwingt dann seine Redaktionen auf eine regierungstreue Linie. Dadurch wäre etwa erklärt, warum die Blick-Gruppe Bundesrat Alain Berset, gepriesen als «umsichtiger Landesvater», so oft mit hymnischen Schlagzeilen besang. Zum Beispiel: «Berset war überzeugend, ehrlich, klar und fair.»

Im Skandal-Modus sahen den Fall, wie stets, auch die Shitstormer der sozialen Medien.

Wenn wir den Fall hingegen nüchtern analysieren, dann müssen wir über Ringiers CEO Marc Walder reden. Der ehemalige Tennisprofi, wie viele Sportler, entwickelt eine Form von Hypochondrie, wenn es um bedrohte Gesundheit geht. Von Corona war er von Anfang an stark eingeschüchtert. Monatelang traf er sich nur noch im Notfall mit anderen Personen. Als Chef eines der ersten Grossunternehmen schickte Walder seine Mitarbeiter ins Home-Office, dann verordnete er ebenso schnell 3 G und dann 2 G. Obschon sich Walder isolierte, erwischte ihn das Virus im letzten Herbst.

Walder, nicht frei von Panik, sah den Kampf gegen Corona zunehmend als vaterländische Aufgabe. Immer wieder diskutierte er mit seinen Chefredaktoren über die Verantwortung der Medien in dieser Situation. Er argumentierte, so sagt man mir, oft wie ein Verleger im Zweiten Weltkrieg. Man kann es Zensur nennen oder Haltung, je nachdem.

Die Blick-Gruppe wurde dennoch kein Regierungsorgan. Sie wurde stattdessen zur Einpeitscherin der Regierung. Wenn Berset und der Bundesrat harte Massnahmen wie Shutdowns und Impfzertifikate verfügten, jubelte der Blick. Wenn Berset und der Bundesrat Lockerungen und Öffnungen zuliessen, dann kritisierte sie der Blick oft massiv. Dann hiess die Schlagzeile im Blatt auch schon mal: «Der Bundesrat hat jedes Vertrauen verspielt.»

Wenn die Regierung das Impftempo zu wenig beschleunigte, Ungeimpfte zu wenig traktierte, die elektronische Überwachung verschlief und bei neuen Shutdowns zögerte, dann setzte es Prügel von Ringier. Dann schrieb, als Gastkommentator, auch Ringier-Chef Walder im Blick, wie «himmeltraurig» die Arbeit der Regierung sei.

Beim Video von Marc Walder können wir uns denn Verschwörungstheorien schenken. Es spielt bloss alte Pressetradition. Ringier unterstützt die Regierung – aber nur solange die Regierung der Meinung von Ringier ist.

Die 3 Top-Kommentare zu "Ringier versucht sich als Regierungsorgan"
  • markymark

    Das ist etwas zu blauäugig: Berset hätte den Forderungen des Blick noch so gerne entsprochen, weil der Blick die wahren Wünsche von ihm aussprachen. Berset und Blick dienen anderen Heren aber sicher nicht dem Volk. Und gleichwohl sind sie nur entbehrliche Handlanger.

  • vonhalter

    Berset füttert seinen Freund Walder und über seine unreinen privaten Geschichten hinweg zu sehen.

  • juege

    Also wenn Sie Viktor Orban als Despoten betrachten, beginne ich an Ihrem Verstand zu zweifeln.