Es war Emmanuel Macrons wohl mutigster – und lichtester – Moment: Nach dem Ende des Kalten Krieges sei die atlantische Allianz «nicht einmal ansatzweise neu bewertet worden», die Nato «hirntot», klagte der französische Staatschef 2019 mit Blick auf Bestrebungen, das Bündnis auch noch um die Ukraine nach Osten auszuweiten. «Wir dürfen Russland nicht vollends an China verlieren.»

Macrons Erkenntnis kam jedoch zu spät und blieb zudem ohne Folgen. Seine Partner in der EU ignorierten sie einfach, und alle Avancen von US-Präsident Donald Trump an die Adresse seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin zerschellten am Widerstand seiner innenpolitischen Gegner. Peking und Moskau rückten weiter zusammen. Mit dem Ukraine-Konflikt ging Russland dem Westen nun vollends verloren.

«Schiff der Menschheit» stabilisieren

Die Beziehungen zwischen China und Russland sind heute so eng wie noch nie. Die Führer beider Länder haben sich schon mehrere Dutzend Mal getroffen, zuletzt diese Woche auf dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Samarkand. Chinas Staatschef Xi Jinping bezeichnet Putin als «Busenfreund», der hat Xi seinerseits den höchsten russischen Orden verliehen. Kurz vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine bekräftigten beide feierlich eine «umfassende strategische Partnerschaft der Kooperation für eine neue Ära».

Peking ist in den vergangenen Jahren zu Moskaus wichtigstem Handelspartner aufgestiegen. Allein seit 2020 hat sich das Volumen auf umgerechnet an die 200 Milliarden Euro verdoppelt. Tendenz: weiter steigend. Beide Volkswirtschaften ergänzen sich hervorragend. Russland verfügt über die lebenswichtigen Energieressourcen und Agrarprodukte, die China benötigt. Dieses wiederum bringt einen riesigen Absatzmarkt, moderne Technologien sowie Investitionskapital für den Auf- und Ausbau der russischen Industrie in die Partnerschaft ein.

Die Welt steuert auf einen neuen kalten Krieg zu. Dieser dürfte für den Westen wenig erfreulich verlaufen.

Mit Hochdruck bauen Moskau und Peking denn auch die grenzüberschreitende Infrastruktur aus. Der Anteil russischen Öls an den gesamten Ölimporten Chinas hat sich in den vergangenen Jahren bereits mehr als vervierfacht. In den nächsten drei Jahrzehnten soll für umgerechnet über 400 Milliarden Euro Erdöl aus Sibirien ins Land fliessen. Den Rückgang der Eisdecke in der Arktis infolge des Klimawandels wollen beide Länder nutzen, um die nordsibirischen Erdöl- und Erdgasfelder weiter zu erschliessen und Flüssiggas von dort mit Tankern nach China zu exportieren.

Die Partnerschaft geht jedoch weit über die Wirtschaft hinaus. Xi und Putin betrachten sie als den «Ballaststein», der «das Schiff der Menschheit vor dem Kentern» bewahren soll, wie Xi es einmal bildlich ausdrückte. Beide vereint der Wille, Eurasien als Gegengewicht zum Westen auszubauen, die globale Vorherrschaft der USA zu brechen und die unipolare Weltordnung von Washingtons Gnaden durch eine neue, multipolare Ordnung zu ersetzen. Dazu stimmen sich Peking und Moskau in allen geopolitischen Fragen eng ab, führen regelmässig gemeinsame Militärmanöver durch und entwickeln zusammen neue Waffensysteme.

Um den Dollar, zentrales Herrschaftsinstrument der USA, zu schwächen und vom amerikanischen Finanzsystem unabhängig zu werden, haben beide Länder ihre Kartenzahlungssysteme zusammengelegt, begleichen ihren Warenaustausch miteinander bereits weitgehend in Yuan oder Rubel und rechnen zunehmend auch Importe und Exporte mit anderen Ländern in eigener Währung ab.

Bei Chinas aussenpolitischem Schlüsselprojekt «Neue Seidenstrasse» spielt Russland eine wesentliche Rolle. Beide Länder wollen damit einen riesigen gemeinsamen asiatisch-europäischen Markt schaffen und so das geopolitische Gravitationszentrum vom Atlantik wieder zurück nach Eurasien holen. Nach und nach soll es mit Putins Eurasischer Wirtschaftsunion verschmolzen werden, der neben Russland Weissrussland, Armenien, Kasachstan und Kirgistan angehören.

Die Hälfte der Menschheit

Daneben treiben Xi und Putin systematisch die Erweiterung von nicht-westlichen internationalen Organisationen wie den Brics-Staaten sowie der SOZ voran. Letzterer gehören mit China, Russland, Indien, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgistan, Usbekistan, Pakistan sowie demnächst dem Iran und Weissrussland bereits etwa die Hälfte der Menschheit an.

So entsteht um die Achse Peking–Moskau herum ein immer grösserer eigenständiger politökonomischer Kosmos, der wie einst der Eiserne Vorhang West und Ost voneinander zu trennen droht. Die Welt steuert auf einen neuen kalten Krieg zu. Dieser dürfte für den Westen weit weniger erfreulich verlaufen als der letzte. China, Russland und ihre Verbündeten bringen ein ganz anderes Gewicht auf die Waage als die einstige Sowjetunion. Hätte die EU sich rechtzeitig auf ihre Interessen besonnen und von den USA emanzipiert, wäre diese Entwicklung vermeidbar gewesen. Nicht nur die Nato, auch die EU ist offenbar hirntot.

Die 3 Top-Kommentare zu "Was sich zwischen China und Russland tut"
  • Pantom

    Dass die EU hirntot ist, weiss ich schon seit 2000.

  • Potofö

    Den Westen mit Freiheit gleichzusetzen ist naiv. Wenn der Westen tatsächlich für Freiheit stünde, würde er nicht ringsumher Kriege anzetteln.

  • Aufseher

    Asien, Lateinamerika und Afrika werden für den moralisch überheblichen, verlogenen Westen genauso verloren sein, dann sind es ca. 75% der Menschheit. Die USA, deren ca. 50% linker Politiker welche die neue Polarisierung verursacht haben werden, werden nicht wirtschaftlich untergehen. Aber für Europa sieht es dunkelschwarz aus!