Parlament war gestern, Demo ist heute.

Wer sich fragt, was nach dem Parlamentarismus kommt, bekommt es in Deutschland derzeit vorgefĂŒhrt: Bayerns VizeministerprĂ€sident Hubert Aiwanger (Freie WĂ€hler) demonstriert in Erding gegen die Bundesregierung, Unionspolitiker und FDP-Finanzminister Christian Lindner reihen sich bei den Bauerprotesten ein, und Kanzler nebst Aussenministerin demonstrieren «gegen rechts» zurĂŒck, wobei so ziemlich alles rechts ist, was der Ampel-Regierung nicht applaudiert.

Und der Bundestag selbst setzt einen «BĂŒrgerrat» ein, der ausserhalb des Parlaments ohne demokratisches Mandat zum Beispiel VorschlĂ€ge fĂŒr eine Zuckersteuer, eine Tierwohlabgabe und kostenloses Schulessen macht. Alles, was Linke sich schon immer gewĂŒnscht haben. RĂ€tepublik statt ratloser Demokraten.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Aussenministerin Annalena Baerbock (GrĂŒne) fanden sich also tapfer am zurĂŒckliegenden Wochenende auf dem Potsdamer Marktplatz ein, um «gegen rechts» zu demonstrieren, wobei eigentlich die AfD gemeint ist, die in den Umfragen bundesweit wieder einen Punkt hinaufgeklettert ist und jetzt schon bei 23 Prozent steht. Die Bauernproteste nehmen mehr und mehr den Charakter eines Volksaufstandes an, weshalb in vielen Medien das Augenmerk ganz dezent weg von den rund 280.000 Landwirten verschoben wurde hin zu einigen AfD-Leuten und Demo-MitlĂ€ufern vom angeblich rechten Rand. Merke: Wer gegen die Regierung demonstriert, muss «rechts» sein, «Faschist» oder «Nazi», wie NRW-Regierungschef Hendrik WĂŒst es mit Blick auf die AfD ausdrĂŒckte.

Scholz wurde beim Besuch eines Handballspiels ausgepfiffen, und der Bremer SPD-Fraktionschef Mustafa GĂŒngör machte bei Table Media gar keinen Hehl daraus, dass man die AfD verbieten mĂŒsse, weil man nun wirklich schon alles versucht habe. Weder «entzaubern» noch «inhaltlich stellen» habe funktioniert, und es sei sogar inzwischen nicht mehr ausgeschlossen, «dass die AfD in die NĂ€he einer Regierungsbeteiligung gelange», so der Genosse.

Mit anderen Worten: Nach dem WĂ€hlerwillen kann man sich ja nun beim besten Willen nicht richten, wenn der WĂ€hler falsch liegt. Gerade im Osten klingen solche SĂ€tze wie Hohn und der Beweis, dass der Rechtsstaat ganz schnell der aus dem Staatssozialismus bekannten WillkĂŒr weicht, wenn das Volk nicht spurt.

Man könnte all das als typisch deutsche Aufgeregtheiten und NervositĂ€t einer gescheiterten Regierung betrachten, wenn nicht inzwischen auch ernsthafte Politiker in Berlin und den LĂ€ndern hinter vorgehaltener Hand darauf verweisen wĂŒrden, dass Hitler schliesslich auch demokratisch gewĂ€hlt worden sei. LĂ€sst man sich diese Argumentation auf der Zunge zergehen, dann wĂŒrde nicht das demokratische Regelwerk ĂŒber die MachtausĂŒbung entscheiden, sondern die mehr oder weniger willkĂŒrlich von politischen Mitbewerbern unterstellte Absicht, RegierungsĂ€mter alsbald missbrauchen zu wollen.

Man weiss nichts Genaues, aber man kann sich’s ja denken. Der Weg ins postdemokratische Zeitalter.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die BĂŒrger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.