Bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags haben sich weder Bundespräsidentin Viola Amherd noch das Aussendepartement von Ignazio Cassis zum Todesfall von Alexei Nawalny geäussert. Das ist angesichts vorschneller medialer Urteile und Schuldzuweisungen sicher richtig, dürfte aber leider eine Momentaufnahme bleiben.

Der Umgang mit politischen Gefangenen – zumal solchen mit prominentem Status – ist für die Strafvollziehungsorgane und damit für die jeweiligen Staaten eine grosse Herausforderung. Wenn wir in der Geschichte etwas zurückgehen, hat auch die Schweiz diesbezüglich nicht unbedingt eine blütenreine weisse Weste.

Dies gilt insbesondere für die Haft und das Ende des Mörders der österreich-ungarischen Kaiserin Elisabeth («Sissi»). Luigi Lucheni hat die inkognito reisende Monarchin 1898 vor dem Hotel «Beau-Rivage» in Genf abgepasst und mit einer Feile erstochen. Sofort wurde die Schweiz als angebliches «Anarchistennest» mitverantwortlich gemacht und der behördlichen Duldung krimineller Elemente bezichtigt.

Der 25-jährige erklärte Anarchist und Einzeltäter Luchini wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, die er im Genfer Gefängnis Saint-Antoine absass. Bei den Aufsehern war der italienische Arbeiter wegen seines renitenten Verhaltens äusserst unbeliebt. Mehrmals ging er auf Gefängniswärter los und wollte einmal sogar den Direktor mit einer Ahle erstechen, mit der er in der Zelle Pantoffeln flocht.

Zwölf Jahre nach der Tat, im Jahr 1910, fand das Gefängnispersonal Luigi Lucheni erhängt in einer Dunkelzelle vor, in die man ihn wegen seines aufrührerischen Wesens gesteckt hatte. Er soll sich mit einem Gürtel erhängt haben, doch diese offizielle Version eines Selbstmordes wurde stark angezweifelt.

Es kursierten begründete Gerüchte, dass die Gefängnisaufseher bei diesem Tod «nachgeholfen» beziehungsweise den verhassten Mörder erdrosselt hätten, um die Tat danach wie Selbstmord aussehen zu lassen. Richtig aufgeklärt wurde die Affäre nie. Es macht den Anschein, dass die Schweizer Behörden gar nicht unglücklich waren, für den anarchistischen Italiener nicht mehr aufkommen zu müssen.

Ein Genfer Professor trennte 1910 Luigi Luchenis Kopf vom Körper und untersuchte das Gehirn nach vermuteten Anomalien. Erst 1985 wurde das makabre Präparat nach Wien übersandt und dort im Jahr 2000 in aller Stille auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet.