Wenn an diesem Sonntag Bundestagswahl gewesen wäre, wäre die Ampelregierung Geschichte: Die Liberalen scheitern an der 5-Prozent-Hürde, Grüne und SPD erreichen gemeinsam noch um die 26 Prozent.

Das Europawahl-Beben hat eine ganze Reihe von vermeintlichen Gewissheiten hinweggefegt.

Die Kanzlerpartei SPD verliert brutal ans Nichtwählerlager. Botschaft: Wähler, die die alte, solide Arbeiterpartei wollen, gehen einfach frustriert nach Hause. Oder zur AfD. Die AfD wird zur neuen Arbeiterpartei.

Junge Leute, auf die gerade das linke Lager gehofft und das Wahlalter um zwei Jahre auf sechzehn gesenkt hatte, wählen keinesfalls verlässlich links, sondern zu gleichen Teilen (17 Prozent) an erster Stelle Union und AfD.

Die AfD hat mit ihren jüngsten Skandalen einen Teil ihrer Unterstützer verprellt, kann mit mehr als 16 Prozent aber im Vergleich zur letzten Europawahl noch einmal gut 5 Prozentpunkte zulegen.

Die Union kann davon allerdings nicht profitieren, obwohl sie nach dem Anschlag von Mannheim den migrationskritischen Ton deutlich verschärft hat. Enttäuschung von der AfD führt nicht zum Zulauf für die Union.

Auch von der Schwäche der Ampel kann die Union nicht wirklich profitieren. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl legt sie leicht zu. Im Vergleich zur letzten Europawahl hält sie etwa das Ergebnis der Europawahl unter Angela Merkel.

Die Grünen verlieren im Vergleich zur letzten Europawahl erdrutschartig, obwohl – oder eher weil – sie ihr wichtigstes Thema, den Klimaschutz, in Regierungsverantwortung umsetzen können und die Wähler damit in Scharen vertreiben.

Die Stimmung der Deutschen steht auf Protest! Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das Anfang des Jahres noch gar nicht als Partei existierte, kommt aus dem Stand auf mehr als 5 Prozent. Gemeinsam mit der AfD will gut ein Fünftel der Wähler einen Politikwechsel.

Ein von der Politik bislang völlig unterschätztes Thema der Wahl war ausweislich der Nachwahlbefragungen Frieden. Kanzler Olaf Scholz (SPD) gelingt es weder, seine Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen als «Friedenspolitik» zu verkaufen, noch im Lager der Ukraine-Unterstützer zu punkten.

Die FDP hat mit ihrer Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann polarisiert und Aufmerksamkeit erlangt, die ihr am Ende aber auf die Füsse fällt.

Im Osten ist die AfD zur Volkspartei geworden.

Die Europawahl war in Deutschland vor allem ein Misstrauensvotum gegen die Bundesregierung. Ob das irgendjemanden von den betroffenen Akteuren aus der Ruhe bringt, ist alles andere als sicher.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.

Die 3 Top-Kommentare zu "Die Europawahl war in Deutschland vor allem ein Misstrauensvotum gegen die Bundesregierung. Ob das irgendjemanden in Berlin aus der Ruhe bringen wird, ist alles andere als sicher"
  • miriamR

    Am meisten freut es mich, dass sich das märchenhafte Luftschloss der linken Medien und Politiker aufgelöst hat - Es gibt keine generell woke ideologisierte Jugend und junge Erwachsene, obwohl auch in Schulen alles dafür getan wird, die Jugend „auf Linie“ zu bringen. Bereits 16. Jährigen das Wählen zu erlauben, mit der festen Überzeugung davon zu profitieren, ging voll nach hinten los. Die vermeintliche Generation Greta hat ausgedient.

  • Socrates9Zico10

    Noch am Wahlabend hat SPD verkündet, dass Scholz ihr Spitzenkandidat für Bundestagswahl bleibt und die SPD nächste Bundestagswahl gewinnen will! Realitätsferner geht es nicht! Die Ampelkoalition sollte sich mal ein Vorbild an Macron nehmen und schnell Neuwahlen ausrufen! Aber besser würde es für Deutschland da auch nicht werden, denn es würde Schwarz/Grün, Schwarz/Rot oder sogar eine Keniakoalition, alles jeweils unter Führung der CDU geben und das wäre das gleiche Desaster wie bisher!

  • aliasmailster

    Ich bin mir sicher, in Berlin geht es weiter wie bisher, da wird sich nichts ändern. Mehr noch als bisher werden die Staatsverbrecher ihre Pfründe sichern und Politik gegen das Volk machen. Ich kaufe denen noch nicht einmal das "Erstaunen" über das Wahlergebnis ab, selbst bei totalem Realitätsverlust müssen diese Parteien sehr wohl mit solchem Ergebnis gerechnet haben. Wer in diktatorischer Art und Weise Politik gegen das Volk macht, der kennt auch die Konsequenzen.