Eigentlich wäre die Sache ganz einfach: Das Neutralitätsrecht findet in bewaffneten Konflikten zwischen zwei oder mehreren Staaten Anwendung. Jeder Krieg verletzt das Völkerrecht. Es ist aber nicht Sache der neutralen Schweiz, festzustellen, wer der Völkerrechts-Verletzer ist, und schon gar nicht, auf diesen mit irgendwelchen Massnahmen loszugehen.

FDP-Präsident Thierry Burkart sprach im «Club» des Schweizer Fernsehens bei der Handhabung der Schweizer Neutralität zu Beginn des Ukraine-Kriegs von einem Problem der «Kommunikation». Tatsächlich hat der Bundesrat die ersten paar Tage logisch und nachvollziehbar argumentiert. Bis dann vor allem die die FDP-Bundesräte Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis die EU-Sanktionen übernehmen wollten – was im In- und Ausland in einem Kommunikationsdesaster enden musste.

Der Begriff der «indirekten» Waffenlieferung gefällt Burkart nicht, denn die Festlegung einer gewissen Frist – so seine Logik – sei keine Umgehung des Neutralitätsrechts.

Zu Recht warf der ehemalige SP-Nationalrat Andreas Gross ein, dass die Waffenkäufer bei Vertragsabschluss wussten, dass sie das Schweizer Kriegsmaterial nicht in Konfliktgebiete veräussern dürfen – was auch den Preis beeinflusste. Er will weder direkt noch indirekt Waffen liefern, verlangt aber viel mehr humanitäre Anstrengungen und damit eine «engagierte», nicht bloss «aktive» Neutralität. Andere seiner Ausführungen hat nur er selber verstanden, etwa den Begriff «Dosis der Emanzipation der Gewalt».

Für den marxistischen Historiker Jakob Tanner dient die Neutralität lediglich der «nationalen Selbstdarstellung» und der Profitmaximierung, indem sie «die Kassen klingeln» lässt. Am liebsten wären ihm gar keine Schweizer Kriegsmaterialexporte und keine eigene Rüstungsindustrie. Wobei sich die Ukraine nach seiner Meinung durchaus mit den Waffen anderer wehren darf. Die Neutralität müsse «Uno-konform» sein, und überhaupt müsse die Schweiz längerfristig «zur Neutralität aussteigen». Den Verfechtern der Neutralität warf Tanner in Aktivistenmanier vor, sie würden Putins Sache betreiben.

Laut Christoph Frei, Titularprofessor für internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen, ist die Trennung von Politik und Wirtschaft eine «Fiktion». Wir hätten ohnehin bloss eine «differenzielle Neutralität». Dem überzeugten Internationalisten ist entgangen, dass die Schweiz das differenzielle Konzept lediglich zwischen 1920 und 1938 gepflegt hat, dann aber zum Glück für das Land zur integralen Neutralität zurückgekehrt ist. Unser Land stehe mit seiner Neutralität «schräg», so Frei, entgegen dem «Grundtrend», man müsse «mit der Zeit gehen».

Die Lausanner Völkerrechtsprofessorin Evelyne Schmid argumentierte stringent, man könne die Regeln nicht während eines bewaffneten Konflikts ändern. Sie erinnerte an den Mehrwert und die vertrauensbildende Funktion der Neutralität, speziell auch bei der humanitären Arbeit des IKRK in Konfliktgebieten.

Für den Zürcher Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt (SVP) hat die Schweiz die Möglichkeit zur Friedensstiftung aus der Hand gegeben und überlasse diese jetzt ausgerechnet den Chinesen. Die Welt sei heute viel stärker in zwei Teile polarisiert als im Kalten Krieg, als der Westen sowohl bevölkerungsmässig wie wirtschaftlich eindeutig überlegen war. Umso wertvoller sei eine neutrale Schweiz als Vermittlerin im Kriegsfall. Laut Vogt ist es wichtig, die Neutralität und deren Wesen in der Verfassung deutlicher zum Ausdruck zu bringen.

Die Moderatorin Barbara Lüthi schien streckenweise vom Thema stark überfordert. So sprach sie von der Bundesverfassung von 1848, um gleich danach den Zweckartikel 2 der Bundesverfassung einzublenden – allerdings im stark geänderten Wortlaut der «Nachführung» des Jahres 1999.