War was? Wahl war. In Berlin war (mal wieder) Nachwahl, diesmal zum Bundestag und nur mit «kleinen Pannen», wie die Wahlleitung einräumen musste, aber sonst lief alles nach Plan und dem alten Sponti-Motto: Stell dir vor, es ist Wahl, und keiner geht hin. (Ohne die Interpunktion selbstverständlich, die wurde vom spiessbürgerlich versifften Autor geschichtsrevisionistisch für nachfolgende Generationen mit Resten humanistischer Bildung hinzugefügt.)

Wer die ganze Geschichte verstehen will, muss zurück in den September 2021, als in Berlin zeitgleich mit der Bundestagswahl auch das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt wurde und die Wahlmängel, -schlampereien und Verstösse gegen das Wahlgesetz so gravierend waren, dass an einer Wiederholung kein Weg vorbeiführte.

Zum Teil fehlten Wahlzettel, oder sie waren zwischen den Wahllokalen vertauscht worden, die Wähler mussten Schlange stehen und kamen innerhalb der gesetzlichen Öffnungszeiten nicht mehr dran und warfen dann ihre Zettel ein, als überall die Hochrechnungen schon liefen … Der zu allem Überfluss am selben Tage abgehaltene Berlin-Marathon komplettierte den Irrsinn mit Strassensperrungen und ganzen Häuserzügen, die entlang der Strecke nicht erreichbar waren.

Kurz: Chaos pur. Oder: Seh’se, det is Balin! Wie die versagende Hauptstadt mundartlich gern ins Drollige umschrieben wird.

Verglichen damit war die Nachwahl eher unspektakulär. Zwei Dinge waren dann aber doch bemerkenswert: Erstens die Ergebnisse: Obwohl nur rund 550.000 der insgesamt etwa 2,4 Millionen Berliner Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben durften, lässt sich ein Trend weg von den Ampel-Parteien (SPD: −1,2 Prozent, Grüne: −0,3 Prozent, FDP: −0,9 Prozent) erkennen, was im traditionell links-grünen Berlin bemerkenswert ist. Die FDP verlor sogar einen Sitz im Parlament. Zulegen konnten dagegen die ansonsten in der Hauptstadt eher schwach vertretene Union (+1,3 Prozent) und die AfD (+1,0 Prozent). Alles in allem ein Trend, der sich auch in den sonstigen Umfragen zur Bundespolitik wiederfindet.

Zweitens das Gezerre um das Zustandekommen dieser Nachwahl: Angesichts der massiven Schlampereien in den mehr als 2200 Wahllokalen beim Urnengang im Jahr 2021 führte an einer Wiederholung grundsätzlich kein Weg vorbei, es gelang aber den Ampel-Parteien der Bundesregierung, in den zuständigen Ausschüssen zu verhindern, dass nicht etwa auch die gesamte Bundestagswahl in Berlin analog zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden musste, nicht etwa die Hälfte der als fehlerhaft angezeigten Wahllokale zum zweiten Versuch antreten mussten, sondern lediglich in 455 Chaos-Stationen über die ganze Stadt verteilt und vereinzelt neu gewählt wurde.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dann nach langem Ringen diese Zahl, die am Ende dazu führte, dass kein Mensch mehr wusste, wen oder was er da gerade wählt und welchen Einfluss das tatsächlich auf die Mandatsverteilung haben könnte. Eine Wahlbeteiligung von gut 40 Prozent legt darüber Zeugnis ab. Wer dabei vermutet, die Ampel habe einer erwarteten abstrafenden Signalwirkung durch mutwillige Wahlverwirrung und -verkleinerung die Spitze abbrechen wollen, ist selbstverständlich mit nicht zu akzeptierender Böswilligkeit unterwegs und muss an dieser Stelle heftig gerügt werden …

Und weil auch die Parteien sparen müssen, wurden die alten Plakate von damals wieder hervorgeholt, auf denen etwa die SPD für «Neuanfang» warb und die Grünen «Halt und Sicherheit» versprachen, was dann mitunter doch noch eine unfreiwillige Erheiterung in den kurzen Wahlkampf brachte. Mit einem Schuss Bitternis darin. Aber nur einem ganz kleinen. Hüstel.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.