In den SRF-Hauptnachrichten wie bei «10 vor 10» am Freitag war kein Superlativ zu heftig: Der «höchst umstrittene», für «Falschmeldungen und Verschwörungstheorien berüchtigte», sogar für Fox News zu extreme «rechtspopulistische» US-Moderator Tucker Carlson, so erfahren wir, habe dem russischen Diktator in einem «sehr unkritischen» Gespräch eine «willkommene Bühne» für seine «Propagandashow» geboten.

«Tagesschau»-Sprecher Florian Inhauser schwadronierte von der «Mutter aller Gefälligkeitsinterviews» eines «historisch willfährigen Journalisten». Es fehlte nur noch der Schaum vor seinem Mund.

Zweifellos gab es Passagen in Putins Ausführungen – als er etwa die Polen für den Angriff von Hitler und Stalin auf Polen verantwortlich machte –, über die man nur den Kopf schütteln konnte. Natürlich hätte man sich mehr Widerrede und Dialoge statt Putin-Monologe gewünscht.

Doch Hand aufs Herz: Wie viel Unsinn mussten wir uns schon von anderen Spitzenpolitikern anhören. Vor allem aber: Haben wir je ein wirklich hartes Interview mit Macron, Scholz oder Biden gesehen? Und: Hätte das der ach so kritische Florian Inhauser tatsächlich besser hingekriegt?

Staatschefs von Grossmächten können es sich leisten, derartige Gespräche nur mit Journalisten ihrer Wahl zu führen. Und das tun sie auch. Sie allein bestimmen die Themen, den Zeitpunkt, den Rahmen. Einen offenen Meinungsaustausch ohne Hintergedanken gibt es auf diesem Level nicht.

Bei all diesen Einschränkungen – der kleine Einblick in Wladimir Putins Universum war trotzdem interessant. Auffällig war vor allem, wie oft und eindringlich er seine Bereitschaft für Verhandlungen beschwor. Man kann das als Heuchelei oder Falle abtun. Dann muss man erst recht darüber reden.

Denn in einem hat Carlson leider recht: Für Putin gibt es heute – vielleicht anders als noch vor achtzehn Monaten – schlicht keinen zwingenden Grund, die Waffen zu strecken. Die russische Wirtschaft brummt, die Ukraine steht am Anschlag, die Zeit läuft für ihn.

Statt sich auf das Vermitteln von Informationen zu konzentrieren, beteiligt sich SRF als Partei an einem publizistischen Grabenkrieg.

Als Beleg dafür, dass Putin vor allem die US-Wähler im Auge habe, lässt SRF einen ehemaligen, den meisten Zuschauern unbekannten US-Diplomaten zu Wort kommen – natürlich ohne Nachhaken und kritische Gegenfrage.

Und als Garnitur gibt US-Korrespondentin Viviane Manz noch eine kleine Verschwörungstheorie drauf: Bereits 2016 habe sich Putin gemäss Geheimdiensten zugunsten von Donald Trump in den US-Wahlkampf eingemischt. Der Kreis schliesst sich.