Brombeeren sind zuweilen tückisch. Wer die stacheligen Sträucher im Garten hat, wird mitunter den Verdacht nicht los, dass die rankenden Peitschentriebe heimtückisch hinter einem her sind, ihre fiesen Stacheln im Vorbeigehen in Beine und Arme schlagen und sich blutig durch die Haut kratzen.

Dass sie dieser Tage in Sachsen und Thüringen über sogenannte Brombeer-Bündnisse verhandeln, hat allerdings weniger mit den «dornigen Chancen» zu tun, die FDP-Chef Christian Lindner in jungen Jahren einst als raffinierten Spruch im Unternehmensberater-Slang für Problemlagen erfunden hatte. Dem Politologen Karl-Rudolf Korte war im Vorfeld der Ostwahlen schlicht nichts Besseres eingefallen, um mögliche schwarz-rot-lila-Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fruchtig zu umschreiben.

Und wie bekommt die seltsame Frucht aus der Gruppe der Rosengewächse nun dem deutschen Politikbetrieb?

Durchwachsen, möchte man kalauern, wenn die ersten textlichen Kostproben nicht so unbekömmlich wären. Noch nie ist in einem politischen Text so irrwitzige Nebellyrik verbreitet worden wie im CDU-SPD-BSW-Papier in Thüringen. «Thüringen ist ein Land mit Wurzeln tief in der wechselvollen Geschichte Deutschlands, aber dessen Blick stets fest auf die Zukunft gerichtet war und ist. Inmitten Europas, im grünen Herzen Deutschlands, fand Thüringen immer wieder die Kraft zur Erneuerung.»

Bei aller Liebe zum pflichtgemässen Lokalpatriotismus weiss man an vielen Stellen des zweiseitigen Ergusses nicht, ob man die Zeilen atonal singen oder besser gleich nach Waldorfschulen-Manier tanzen soll. Das Lachen über politische Nonsens-Girlanden vergeht einem dagegen schnell. «Wir kooperieren als drei Parteien, als CDU, BSW und SPD, gemeinsam, um Thüringen nach vorne zu bringen.» Klar. Alles andere wäre auch eine blöde Botschaft. Wenn man allerdings zu dick aufträgt, merkt auch der Letzte die penetranten Pfiffe im politischen Walde. «Unterschiedliche Traditionen und Sichtweisen sind nicht etwa Hindernisse, sondern Treiber für neue politische Kreativität.» Nicht dass noch irgendwer auf die abwegige Idee käme, dass unterschiedliche Sichtweisen «Hindernisse» sein könnten, wie täglich bei der Bundes-Ampel zu beobachten ist.

Bemerkenswert ist einzig der Eiertanz, den die neuen Koalitionäre um das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aufführen. «Wir nehmen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst, dass sich der Krieg ausweitet und damit das Risiko besteht, dass auch Deutschland in eine sich immer schneller drehende Kriegsspirale hineingezogen wird», heisst es im Brandenburger Sondierungspapier von SPD und BSW. Und wie ein Wunder findet sich der Satz fast wortgleich auch in Erfurt wieder: «Wir nehmen die Sorgen und Ängste unserer Bürgerinnen und Bürger ernst, dass Krieg in Europa ist und Deutschland mit hineingezogen werden könnte.»

Der härteste und vermutlich ehrlichste Abschnitt befindet sich bei den Thüringern ganz oben auf Seite zwei: «CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.» Mit anderen Worten: Das BSW steht nicht in der Tradition der Ostpolitik (Wandel durch Annäherung). CDU und SPD lassen sich dagegen ins Stammbuch schreiben, offenbar keinen «kompromisslosen Friedenskurs» zu verfolgen. Stattdessen gibt es einen raffinierten juristischen Bastelsatz: «Wenngleich wir hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung ihrer territorialen Integrität und Souveränität unterschiedlicher Auffassungen sind, eint uns das Ziel, eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas mit dem Ziel eines Waffenstillstandes und gerechten, dauerhaften Friedens im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und des Budapester Memorandums voranzutreiben.» Wohl dem, der die Uno-Charta und das Budapester Memorandum von 1994 zur Hand hat, um die Thüringer Eiertänze in ihren rechtlichen Rahmen zu stellen.

Ob und wie die neuen Bündnisse am Ende tatsächlich funktionieren, ist aus den ersten Dokumenten kaum abzulesen. Was indessen deutlich durchschimmert, ist der ungebändigte Wille zum Regieren der Union, der sämtliche Rück- und Vorsichten dahinwelken lässt. Die namensgebende Sahra vom Bündnis für «Vernunft und Gerechtigkeit» dagegen lässt in aller Öffentlichkeit bereits die Muskeln ihres Machtwillens spielen, der von regierungsfähigen Bücklingen für Ämter und Dienstwagen eher ungetrübt ist.

Was die Thüringer da aufgeschrieben hätten, liess sie sich von Berlin aus vernehmen, reiche nicht und klammere inakzeptabel die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen leider aus. Das klingt nicht gut für die Thüringer BSW-Unterhändler und ihre weitere berufliche Zukunft. Da weder über den Ukraine-Krieg noch über US-Raketen in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg entschieden wird, steht im Zeichen der Brombeere bislang vor allem eines: der eiserne Macht- und Gestaltungswille Wagenknechts.

Oder, um es mit Goethe zu sagen: Hat der alte Hexenmeister (Lafontaine) sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben …

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.