Der türkische Abwehrspieler Merih Demiral schiesst die Türkei im Alleingang ins Viertelfinale. Mit einem 2:1 gewinnt die Mannschaft überraschend gegen Geheimfavorit Österreich. Aber nicht nur die in Deutschland feiernden türkischen Fans fallen durch übertriebenen Nationalismus und Extremismus auf, sondern auch der Torschütze selbst.

Nach seinem zweiten Tor streckt Demirahl die Arme nach oben und zeigt mit beiden Händen den rechtsextremistischen Wolfsgruss. Ein Bild davon stellt er nach dem Spiel selbst bei X online. In Deutschland werden die Grauen Wölfe vom Verfassungsschutz beobachtet.

Was viele nicht wissen: Sie gelten in der Bundesrepublik mit 18.500 Mitgliedern als grösste rechtsextremistische Vereinigung. Der Wolfsgruss selbst ist seit 2019 in Österreich verboten. In Deutschland diskutiert man – wie immer – noch über ein Verbot des Symbols. Vermutlich auch, weil man weiss, dass man das Problem hier kaum eingefangen bekommt.

Im Sommer 2022 sorgte ein Bild von Nancy Faeser mit Schülern im Bundestag für einen Skandal. Diese hatten auf einem Bild mit der Bundesinnenministerin nicht nur den Tauhid-Gruss gezeigt, sondern auch den rechtsextremen Wolfsgruss. Besonders pikant: Mit dem Bild sollte ein Projekt namens «Verfassungsschüler» beworben werden. Nach einer Erklärung des Bundesinnenministeriums wurde das Bild gelöscht.

In der aktuellen Stunde des WDR nach dem Deutschland-Türkei-Spiel im November letzten Jahres zeigt ein türkischer Fan ebenfalls den Wolfsgruss in die Kamera. Ein anderer den Tauhid-Finger. In der online abrufbaren Version der Sendung wird der Teil herausgeschnitten. Nur Screenshots der Sendung belegen später, was zu sehen war.

Diese Begebenheiten stehen stellvertretend für die vielen anderen, auf denen vor allem junge, hier mitunter geborene Türken das Symbol der türkischen Rechtsextremen zeigen. So unterlegte etwa die Süddeutsche Zeitung nach dem Sieg der Türkei gegen Georgien einen Artikel mit einem Gruppenfoto mehrerer türkischer Jugendlicher, die stolz die türkische Flagge in die Kamera hielten. Vier von den acht jungen Männern zeigten dabei den Wolfsgruss. Über 24 Stunden stand der Artikel mit diesem Bild auf der Facebook-Seite der Zeitung, ehe man es klammheimlich durch ein anderes ersetzte.

Spricht man Demirahls Aussetzer in den sozialen Medien an, zeigen sich viele Türken darüber genauso uneinsichtig wie der Abwehrspieler selbst.

Demirahl sagt, die gezeigte Geste habe etwas mit seiner «türkischen Identität» zu tun. Er habe Leute im Stadion gesehen, die auch diese Geste gemacht hätten. Es stecke «keine versteckte Botschaft» dahinter. Dabei war Demirahl bereits 2019 durch das Zeigen des Militärgrusses unangenehm aufgefallen. Er hoffe jedenfalls, dass es «noch mehr Gelegenheiten gibt, die Geste zu zeigen».

Viele Deutschtürken in den sozialen Medien wollen den Gruss auch nicht als rechtsextremes Symbol verstanden wissen. Wer Kritik, auch an den türkischen Machtdemonstrationen auf der Strasse, äussert, sei ein Rassist. Eine Reflexion des eigenen Verhaltens und warum es vielen sauer aufstösst, findet man indes nicht. Vielleicht auch, weil der deutsche Staat anscheinend beschlossen hat, die Türken einfach machen zu lassen. Und wenn dann, wie in Neukölln, beim Autokorso ein Fussgänger totgefahren wird, weil sich niemand an die Verkehrsregeln hält, ist das halt Pech.

Und das ist es vielleicht auch, was so viele Deutsche wütend macht. Die Doppelmoral, mit der man türkischen Faschisten und Nationalisten einerseits begegnet und dem deutschen Fussballpatriotismus andererseits. Während Linke das Zeigen deutscher Flaggen in einer Tour problematisieren, gibt man sich hier ahnungslos und verharmlosend. Der türkische Rechtsextremismus auf deutschen Strassen scheint für die politische Linke, Politik und Medien grösstenteils kein Thema zu sein.

Der «Kampf gegen rechts» existiert eben nur dort, wo er gratismutig ist.