Politik ist kein Lotto-Laden. Und weil man als ernsthafter Politiker Siege in Abstimmungen nicht einfach so mitnimmt wie Lottogewinne im Glücksspiel, ist eine kurzfristige Grenzschliessung mit der Union auch dann nicht zu machen, wenn es eine Mehrheit dafür gäbe.

Klingt verrückt? Ist es auch.

Wer verstehen will, wie Frust auf den etablierten Politikbetrieb wächst und warum sogenannte Populisten Zulauf bekommen, der kriegt derzeit im politischen Berlin ein Paradebeispiel präsentiert. Nach dem brutalen Messer-Terror von Solingen im August hatte CDU-Chef Friedrich Merz noch in einer spontanen Wut-Mail (#«Es reicht!») Kanzler Olaf Scholz (SPD) zum gemeinsamen Handeln gegen illegale Migration über die deutschen Grenzen aufgerufen. Motto: Unter den illegalen Migranten von heute sind die Messer-Mörder und Gruppenvergewaltiger der Zukunft.

Um die Ampel unter Druck zu setzen, hatte die Union ein «Zustrombegrenzungsgesetz» auf den Weg gebracht, das im Innenausschuss sogar eine Mehrheit von Union, FDP, AfD und BSW gegen Rot-Grün erhielt. Nun soll es auf ausdrücklichen Wunsch der Fraktionsspitzen von CDU/CSU nicht mehr zur Abstimmung gestellt werden, gerade weil es gute Chancen hätte, durchzukommen. Bizarre Begründung: Man wolle in diesen fragilen Zeiten keine «Zufallsgewinne» machen.

Im Klartext: Den erwartbaren Shitstorm von Medien und politischen Gegnern wegen der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD will man sich im anlaufenden Wahlkampf nicht an den Hals holen. Merke: Was schert mich mein Geschwätz von gestern. Die Wünsche der Wählerschaft und das Wohl des Landes müssen warten, bis es taktisch in den Kram passt. Oder auch nicht.

Anders formuliert: Wer Union wählt, bekommt eine Bemühenszusage, aber nicht zwingend eine Lieferung.

Ob diese Methode die AfD tatsächlich klein hält, wird man sehen. In Amerika jedenfalls hat gerade ein Präsidentschaftskandidat gewonnen, der sich ziemlich gnadenlos an den Wünschen der Wähler orientiert hat. Aber wer will schon amerikanische Verhältnisse! Gott bewahre!

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.