Herr Weder, wem nützen oder ­schaden die von US-Präsident Trump erlassenen Zölle?

Primär schädigen die Amerikaner sich selbst, in zweiter Linie auch die anderen Länder, die sich wegen der Handels­behinderung weniger auf ihre eigenen Stärken spezialisieren können.

Aber Trump verspricht sich doch von den Zöllen eine Stärkung der US-Industrie und mehr Arbeitsplätze.

Dahinter steht die verbreitete Ansicht, Handel sei dann gut, wenn er dem eigenen Land mehr Exportmöglichkeiten und Arbeitsplätze bringe, nach dem Motto: Exporte sind gut, Importe sind schlecht. Das sagen Politiker seit eh und je, aber das ist eine grundlegend falsche Vorstellung vom Handel. Es geht beim internationalen Warenaustausch nicht um Arbeitsplätze, sondern darum, dass ein Land mit seinen begrenzten Ressourcen letztlich mehr konsumieren kann.

Wie geht das?

Durchs Importieren begehrter Güter aus dem Ausland. Exporte sind höchstens ein Mittel, um zu diesen Importen zu gelangen und diese zu bezahlen. Das ist der Kern der Handelstheorie auf der Grundlage von David Ricardo. Der britische Nationalökonom hat diese Zusammenhänge bereits vor 200 Jahren erkannt und als Theorie formuliert. Es geht um Effizienz in der internationalen Arbeitsteilung zwischen Ländern, nicht um Arbeitsplätze. Mit Importen erweitert ein Land seine eigenen Möglichkeiten.

Also liegen auch die Deutschen falsch, wenn sie sich als Exportweltmeister feiern und den Ausfuhrüberschuss als Erfolg?

Genau. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist ja immer auch mit einem Kapitalabfluss ins Ausland verbunden. Und das Kapital, das so von den Deutschen zu den Amerikanern fliesst, schafft in den USA Arbeitsplätze, nicht in Deutschland. Aber nicht nur Trump und deutsche Politiker verstehen diese Zusammenhänge nicht, auch in der Schweiz sind jeweils alle stolz und zufrieden, wenn wir mehr Waren exportieren als importieren. Eine Volkswirtschaft ist eben nicht eine grosse Firma.

Wie kann sich ein kleines Land wie die Schweiz in einem Handelskrieg wehren?

Am besten ist es, wenn sie sich über die Welthandelsorganisation WTO gegen die Störenfriede wehrt. Die WTO ist eine Organisation vor allem zum Schutz der Kleineren. Mich erstaunt immer wieder, dass die Schweiz nicht energischer auf WTO-Regeln pocht.

Kommt die WTO nicht allmählich aus der Mode, weil sie ja nur weltweite Regeln zum Handel mit Gütern und Dienstleistungen überwacht, aber nicht neuere, komplexere Abkommen zu Investitionen, Personenverkehr oder Produktevorschriften?

Ganz im Gegenteil. Meiner Ansicht nach ist es genau das multilateral ausgerichtete WTO-System, das den Ländern am meisten Spielraum für die eigene Wirtschaftspolitik lässt. Geregelt wird da nur der Handel von Gütern und Dienstleistungen, aber nicht der Austausch von Arbeit und Kapital, und das ist gut. Ricardo sagte seinerzeit schon, es gebe gute Gründe dafür, warum ein Land den Zustrom von ­Kapital und vor allem von Arbeitskräften nicht einfach freigeben, sondern kontrollieren wolle. Darum unterscheidet die Handelstheorie zwischen dem Austausch von Gütern und Dienstleistungen und dem Austausch von Arbeit und Kapital.

Sind völlig offene Grenzen für alle vier Kategorien, wie die EU es fordert, also weltfremd?

Ja. Es kommt nicht von ungefähr, dass es Länder und Grenzen gibt: «Countries are countries for a reason.» So stört sich etwa ein Grossteil der Bürger viel mehr an der Zuwanderung von Arbeitskräften als am Warenhandel. Das ist ein grundsätzliches Problem der EU und vieler Handelsabkommen. Die WTO ­dagegen bietet mehr Freiheit. Sie versucht nicht, allen die gleichen Produktevorschriften und Regulierungen aufzuzwingen, sondern verlangt lediglich die gegenseitige Anerkennung der Standards. Beat Gygi

 

Rolf Weder ist Professor für Aussenwirtschaft und Europäische Integration an der Universität Basel.