Er war vom Licht besessen, das wie Sirup an ihm zu kleben schien und das er mit Farben und Pinseln auf Leinwände «wegstrich». Es machte ihn, von zerleuchtender Helle bis zu undurchdringlicher Düsternis, rastlos, trieb ihn hinaus an Küsten und noch weiter, wo das Licht wie ein ewiger High Noon strahlte und seine Synapsen zum Glühen brachte: William Turner (1775–1851), das britische Malergenie, dem Mike Leigh, ein Virtuose bohrender Sozialdramen («Secrets & Lies»), ein eindringliches Porträt widmet. Sein zweieinhalbstündiges Epos ist weniger ein Biopic als der Versuch einer Durchdringung dieser Lichtobsession. Leigh tunkt Turner in magische, traumgespinstige Tableaus, wie in seine eigenen Gemälde, als würde er sich in ihnen verlieren. Und weil Leigh ihn zugleich als soziales Wesen zeigt, blitzen auch Tiefen seiner Seele auf, sein eigensinniges Verhalten. Wie ein Bulldozer räumt er alles – Gattin, Töchter, Freunde, Nachbarn – beiseite, was seinem exzentrischen Drang nach Natur- und Weltgestaltung im Wege ist. Das gibt «Mr. Turner» eine irrlichternde Kraft.

William Turner begann als romantischer Landschaftsmaler und bohrte sich in immer abstraktere Wirklichkeitsdurchdringungen. Er war seiner Zeit voraus, verachtete viele Kollegen der Royal Academy und wurde seinerseits von vielen verachtet. Ein Eigenbrötler, der brummelnd in bornierten Kreisen verkehrte, aber im Alter Gesellschaft zu meiden begann. Ein besonders enges Verhältnis hatte er zu seinem Vater, der sein Talent erkannte, ihn förderte und die Farben besorgte und präparierte. Nach dessen Tod zog er sich vollends zurück und fand privaten Trost bei Sophia Booth. Mike Leigh konzentriert sich ausschliesslich auf die letzten 25 Jahre, um den Bruch vom Romantiker zum Vorläufer des Impressionismus und abstrakter Malerei wie unter einem Brennspiegel zu bündeln.

Schlachtross mit irrer Präsenz

Nicht nur die Bildgestaltung (Kamera: Dick Pope) ist von hoher Faszination, ganz besonders natürlich Timothy Spall, der das verbohrte Schlachtross mit irrer Präsenz auf die Leinwand wuchtet. Treibt es ihn, wie so häufig, rastlos hinaus, ähnelt er, beim Anblick eines kobaltblauen Bandes über dem grauen Horizont oder einer Sonne, die wie eine gelbe Rose durch einen regenverhangenen Himmel prangt, einem Kugelfisch, der am Angelhaken seiner Licht-und-Farben-Besitzgier zappelt. Einmal lässt er sich während eines wüsten Sturms an den Mast binden, um sich die wilden, düsteren Schattierungen von tosendem Regen und Wind einzuverleiben. Seinem ewig grimmigen Gesicht ist zu entnehmen, dass die Wut sein Lebenselixier war; sie ätzt sein Getriebensein, seine Gier nach der vollkommenen, wahren Gestaltung aus seiner Seele direkt auf die Leinwand. 

Weitere Premieren

Interstellar — Als bekanntwurde, dass Christopher Nolan («The Dark Knight», «Inception ») die Regie eines Projekts übernehmen würde, das der Astrophysiker Kip S. Thorne mit seiner Theorie über Reisen durch Wurmlöcher (dank des «gekrümmten Raums») angeregt hatte, wurde sogleich geraunt, da werde wohl Kubricks Weltraumklassiker «2001: A Space Odyssey» überboten werden. Und weil die Idee schon lange köchelte und sich zunächst Steven Spielberg dafür erwärmte, aber ausstieg und Christopher Nolans Bruder Jonathan als Autor gewonnen wurde und der hochverehrte «Inception»-Regisseur schliesslich die Regie übernahm, schossen gleich die Erwartungen gewaltig ins Kraut. Was nie gut ist, denn zu häufig werden die Erwartungen dann doch nicht erfüllt. Christopher Nolan erging’s nicht anders. Ein neuer «Meilenstein» ist seine weit über zwei Stunden dauernde Science-Fiction- Oper nicht geworden, auch wenn unentwegt der Ehrgeiz zum Übertrumpfen spürbar ist. In einer fernen Zukunft geht das Leben auf der Erde zur Neige. Nix funktioniert mehr, das Klima ist am Ende, Sandstürme sind an der Tagesordnung, die Menschen auf der Flucht, das Ende naht.Unermüdlich und im Verborgenen bosseln nur Wissenschaftler an der Idee, ein Raumschiff durch ein Wurmloch zu schicken, um jenseits unserer Galaxie Planeten zu finden, auf die sich die Menschheit retten könnte. Ein Wurmloch bietet ja eine geniale Abkürzung, wenn es wieder nach alter Westernmanier heisst: «Go West, young man!» Cooper (Matthew McConaughey), Ex-Astronaut, Landwirt und vor allem Familienvater, ist ein solcher moderner Westerner, ruhelos, mit Hummeln im Hintern. Klar, dass er sich für eine Expedition hinaus ins Nirgendwo als erfahrener Pilot zur Verfügung stellt – und so rauschen sie hinaus. Die Tochter (Anne Hathaway) des Projektleiters (Michael Caine) ist dabei, und noch ein paar andere Promis haben dann auch Auftritte.

Wie Ikarus der Sonne zu nahe

«Interstellar» wirkt wie eine Rakete mit zu viel Mach und Tragflügelproblemen: Beim Flug schlägt, rüttelt und stösst es. Zu viel Treibstofftanks beschweren nur: vom John- Steinbeck-artigen Farmerfamiliendrama («Of Mice and Men») über Walt Whitmans Pioniergeist von «Pflicht» und «Glaube» und «Vaterland » bis zum Moralismus, der fast alle SFWerke prägt, die Wissenschaft nicht zu missbrauchen oder wie Ikarus der Sonne zu nahe zu kommen. Und weil natürlich der «gekrümmte » Raum die Relativität der Zeit und die Dimensionen verändert, erweitert, verkürzt oder quantenmässig verquirlt, ähnelt Nolans Film zunehmend einer extrem ambitionierten Wirrnis über Raum- und Zeitverzerrungen, alles mit hohem philosophischem Anspruch und getunkt in sakral verpopte Orgelklänge. Das ist visuell faszinierend, bedeutungshuberisch aber überfrachtet. Da lob ich mir dann doch «Raumschiff Enterprise», das mit simpler Warp-Geschwindigkeit auch schon durch Wurmlöcher ist.

Fragen Sie Knorr

Am Zürcher Filmfestival wirkte Diane Keaton sehr sympathisch. Im Film «And So It Goes» mit Michael Douglas fand ich sie schrecklich enttäuschend. Dabei ist sie eine tolle Schauspielerin. Sehe ich das falsch? M. J., Zofingen

Nein, das sehen Sie richtig. Aber angesichts ihres Profils sind interessante Rollen eher rar. Sie ist gewissermassen die weibliche Variante des Stadtneurotikers (schliesslich war sie mit Woody Allen liiert) und bevorzugt Accessoires (Filzhut, Weste, Schlips etc.), die ihr ein intellektuelles, urbanes Image geben. Sie verkörpert die emanzipierte, grossstädtische Mittelklasse, lebt alleine, schlägt sich mit Beziehungen herum, liebt hektische Betriebsamkeit, ist zugleich zerbrechlich und stark und eine modische Variante von Chaplins Tramp. Eine Metropolen-Traumtänzerin. Solche Rollen sind schwer zu finden. Da muss auch sie nehmen, was angeboten wird.

Wolfram Knorr

Der Journalist und Buchautor gehört zu den renommiertesten Filmkritikern der Schweiz.
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