Die Initiative würde die Mitglieder des Bundesrates in einen Dauerwahlkampf treiben», warnt Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) im Hinblick auf den Urnengang vom 9. Juni über die Volkswahl der Landesregierung. Denn anders als bei den Kantonen, so argumentiert sie, wo die Regierenden schon lange und völlig problemlos vom Souverän bestimmt werden, müsste auf nationaler Ebene viel «Zeit und Energie» in den Wahlkampf investiert werden. Der Bundesrat hätte dann weniger Zeit und Energie für «Sachpolitik, politische Führungsarbeit und die parteiübergreifende Suche nach Lösungen».

Diese Argumentation ist nicht nur leicht zu widerlegen, sie zeugt auch von einem bedenklichen Staatsverständnis. Nicht zuletzt dank dem SRG-Monopol sind die Exponenten der Politik auf nationaler Ebene dem Volk meist besser vertraut als die regionalen Grössen. Die Schweiz hat mehr Routine in nationalen Urnengängen und Abstimmungskämpfen als jedes andere Land der Welt. Es ist auch nicht einsehbar, warum die Schweizer, die über komplexe Sachfragen entscheiden, nicht in der Lage sein sollten, ihre eigene Regierung zu wählen. Dass sich Regierende einem Wahlkampf stellen und abgewählt werden können, sollte eine Selbstverständlichkeit sein (man nennt es Demokratie). Und man muss sich fragen, was Politiker, die des Politisierens müde sind, in der Politik verloren haben.

Bereits in seiner Botschaft zur Initiative schwante dem Bundesrat, er würde bei einer Volkswahl «nicht mehr über der Politik stehen». Ob sich hinter dieser Selbsteinschätzung bloss Wunschdenken und Verblendung oder doch eher Zynismus versteckt, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die Wahl des Bundesrates in den letzten Jahrzehnten von parteitaktischen Ränken und Ranküne geprägt war, die mit Sachfragen, herausragenden Persönlichkeiten oder gar mit einem übergeordneten Landesinteresse nichts, aber auch gar nichts zu tun hatten. Diese Misere gab denn auch den Anlass zur Volkswahl-Initiative.

Hohe Legitimation der Gewählten

Dass die herrschende Mehrheit einen Systemwechsel ablehnt, liegt auf der Hand. Das war schon 1900 so, als die Katholiken die Volkswahl forderten, und 1942, als die Sozialisten das Anliegen erneut lancierten (allerdings waren beide Initiativen mit Forderungen verbunden, welche diese zum Scheitern verurteilten). Erstaunlich ist schon eher, dass der Bundesrat das Volksbegehren ablehnt, das – in diesem Punkt sind sich alle einig – seine Position stärken würde. Denn eine Volkswahl ist nicht bloss mühselige Arbeit, sie verschafft den Gewählten eine hohe Legitimation. Doch die Bundesräte ziehen es vor, nach der Pfeife von Partei- und Fraktionsvorsitzenden zu tanzen, die unter sich klammheimlich Direktiven ausbaldowern und über ihr Schicksal entscheiden.

Genau hier liegt das gewichtigste Argument, das für die Initiative spricht: Die heutige Regelung verstösst gegen das Prinzip der Gewaltentrennung. Die Gründerväter der modernen Schweiz waren sich dieses Makels bewusst. Nur knapp (10 zu 9 Stimmen) lehnte die Verfassungskommission 1848 die Volkswahl des Bundesrates ab. Allerdings ging es damals vor allem darum, die Interessen der Stände, welche das Parlament kontrollierten, über die nationale Politik zu stellen, welche der Bundesrat verkörperte. Doch die Politik und das Land haben sich seither entwickelt, vieles wird heute in Bern entschieden, ob es uns gefällt oder nicht. Eine glaubwürdige, vom gesamten Souverän gewählte Regierung könnte heute eine Klammerfunktion einnehmen, die gerade in unsicheren Zeiten bisweilen fehlt. Ein Bundesrat, der für sich beansprucht, die Interessen des ganzen Landes zu vertreten, soll sich auch im ganzen Land zur Wahl stellen.