Vergangenen November irrte ich einen traurigen Nachmittag lang um die Absperrungen der rauchenden Ruinen vom World Trade Center herum, versuchte, das Entsetzliche des Gesehenen zu begreifen, und wechselte wie betäubt Floskeln mit gleichermassen verstörten Fremden. Meine Ratlosigkeit spiegelte sich in den Augen der Versammelten - sie waren meiner Meinung nach nicht als Schaulustige gekommen, sondern aus dem dringenden und ehrenwerten Bedürfnis heraus, Zeugnis abzulegen. Im Gegensatz zu ihnen war den Menschen, die jeden Tag herkamen - den Angehörigen der Katastrophendienste und den Angestellten in den umliegenden Geschäften und Büros -, etwas anderes anzumerken, fast ein Wegsehen, ein Abwenden des Kopfes vom Unerträglichen, um überhaupt weitermachen zu können. Stundenlang ging ich umher und suchte in den Augen der Menschen nach Antworten, die keiner besass. Bei niemandem erregte mein Starren Anstoss. In jenen Tagen war Blickkontakt nötig, wenn nicht tröstlich.

Mein eigener Blick wurde immer wieder vom leeren Himmel über uns angezogen. Es ist viel über den Sog der fehlenden Türme in der Skyline geschrieben und gesagt worden. Das Auge sucht sie, wo es sie einst fand, und will nicht wahrhaben, was es nicht sieht. Die Abwesenheit ist zur Anwesenheit geworden.

An jenem Novembertag hatte ich den Eindruck, dass die Luft sich an Ground Zero geradezu staute, zu den riesigen verlorenen Gebilden formte und im Gedenken an die Feuerbälle zum Himmel aufstieg. «Dort ist es passiert», sagte ich mir immer wieder, «nicht hier unten - dort oben.» Ich versuchte, «dort oben» in Kubikmeter Raum zu umreissen, der den genauen Orten der beiden Anschläge entspräche; ich hatte die leicht verrückte Vorstellung, diesen Raum durch die reine Macht der Anschauung wieder in Besitz zu nehmen. Ein Flugzeug zog über den Himmel, und ich zuckte zusammen.

Macht unsere Stadt wieder heil!

Inzwischen hat sich das Stadtgespräch vom reinen Ausdruck der Trauer dem geplanten Wiederaufbau zugewendet, und am stärksten erinnere ich mich an diese Sehnsucht nach dem Himmel. Ich erinnere mich auch an die Worte von Charles Schumer, dem demokratischen Senator von New York, der im Fernsehen unmittelbar nach den Anschlägen in ergreifenden Worten seine Stadt zurückverlangte. Und ich erinnere mich an die Entscheidungen in Grossbritannien und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg, als es um die Bombenschäden an den Londoner Houses of Parliament und in Warschaus historischer Altstadt ging. Auch die Einwohner von London und Warschau verlangten ihre Städte zurück und bauten den Palast von Westminster und die Warschauer Altstadt Stein für Stein wieder auf.

Laut einer Meinungsumfrage ist eine Mehrheit der New Yorker derselben Ansicht. Baut die Twin Towers wieder auf, sagen sie, genau so, wie sie waren, oder wenigstens genauso gross und imposant. Macht unsere Stadt wieder heil. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können die von ihr geschlagenen Wunden beseitigen.

Das vielhöckrige Kamel

Natürlich melden sich sofort Gegenstimmen. Die «Mahnmallobby» mit den Hinterbliebenen der Opfer an der Spitze möchte den Platz als geweihte Erde behalten. Die mit ihr verbündete «antikapitalistische Lobby» kritisiert, in den sechs kürzlich vorgestellten Szenarien erhielte die Forderung der New Yorker Verkehrsbehörden zu viel Gewicht, jeder Quad-ratmeter Büro- und Hotelfläche müsse wieder aufgebaut werden, sowie die des Pächters Larry Silverstein, der die Wiederherstellung seiner verlorenen Gebäude fordert. Die «Architektenlobby» argumentiert, man könne das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen: Hier biete sich die Gelegenheit zu grossen Bauten der Zukunft statt eines blossen Nachbaus der Vergangenheit. Und die «Gefahrenlobby» glaubt, neue Wolkenkratzer würden nur neue Anschläge provozieren und wären ausserdem sinnlos, weil niemand je wieder «dort oben» arbeiten würde.

Nachdem die sechs Szenarien vorgestellt worden waren, haben diese Lobbys - und andere; vergessen wir nicht Gouverneur George E. Patakis’ Entschlossenheit, auf den «Fussabdrücken» der Türme gar nichts errichten zu lassen - ihren Gefühlen Luft gemacht. So viel Demokratie könnte in die Erbauung eines neuen Lower Manhattan münden, das von allen begrüsst wird, oder aber, und das ist wahrscheinlicher, sie führt zu einer ängstlichen und wirren Anhäufung von Kompromissen. Zu einem Szenario, das einem vielhöckrigen Kamel gleicht - schliesslich sagt das Sprichwort, das Kamel sei ein von einem Komitee entworfenes Pferd.Zufällig sind meine Ideen zum Wiederaufbau, auf die natürlich auch ein anderer gekommen sein mag, in mehrere der sechs Szenarien eingegangen. Am Ende jenes Tages der Himmelschau dachte ich: Hier gehört etwas Imposantes hin. Und: Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich mich wohl jenen anschliessen, die für den zumindest äusserlich identischen Wiederaufbau der eingestürzten Türme plädieren.

Den Terroristen ging es um eine symbolische Aussage, auf die wir symbolisch reagieren müssen. Wie wäre es also, wenn wir hier erneut einen Turm oder auch zwei Türme mit 110 Stockwerken erbauten, aber seine oder ihre oberen dreissig oder vierzig Stockwerke leer liessen, nur von Licht erfüllt wie ein gigantisches Atrium respektive zwei Atrien? Wie wäre es, wenn dieses zum Mahnmal würde - ein Mahnmal in demselben Himmelsraum, wo sich die Anschläge ereigneten und wodurch dieser Raum für alle Zeit beansprucht und erhöht würde? Wie wäre es, wenn die Namen der Opfer in die Wände dieses Einzel- oder Doppelmahnmals eingraviert würden, gewissermassen als räumliches Negativ des Vietnam War Memorial in Washington, D.C.? Wäre diese Lösung nicht für alle Lobbys konsensfähig?

Ich erfuhr zufällig, dass ein Freund, der britische Künstler Brian Clarke, das Architektenteam um Larry Silverstein beraten hat, was aus Ground Zero werden könne. Ich erzählte ihm von meiner Idee; er war von ihr angetan und wollte sie weitergeben. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört, aber jetzt lese ich in einem Zeitungsbericht: «Fast alle Vorschläge sehen einen Mahnmalsturm vor, wie er erstmals vom Architekten des WTC-Pächters Larry Silverstein vorgeschlagen wurde. Er soll mindestens so hoch sein wie die eingestürzten 110-stöckigen Gebäude und an der Spitze über 40 Stockwerke leeren, transparenten Raums aufweisen.» Ich bin sowohl überrascht als auch erfreut und verblüfft. Ich wollte wissen, ob das tatsächlich auf meine Idee zurückging, habe jedoch noch keine Antwort bekommen. Aber letztlich spielt es auch keine Rolle, von wem die Idee stammt. Ich finde sie nach wie vor gut und empfehle sie allen Interessengruppen.

Möglichst rasch entscheiden

Wichtiger ist, dass die Entscheidung, was nun geschehen soll, rasch fällt. Wollen wir eine Nekropole errichten oder einen Phönix? Meiner Meinung nach werden wir den Männern und Frauen, die unter Hochdruck arbeiteten, als der Tod durchs Fenster flog, am besten gerecht, wenn wir wieder ein spektakuläres Arbeitsumfeld erschaffen, in dem sich die von ihnen so geliebte Stadt erneuert. Das wäre ein ganz entschieden besseres Mahnmal als eine Statue, eine Säule oder ein lichterfülltes Atrium am Himmel: der Anblick eines zu seiner alten Dynamik zurückgekehrten Lower Manhattan, das Schauspiel der Stadt New York, die wie eh und je in die Zukunft schaut und nicht in die Vergangenheit.

www.renewnyc.com präsentiert die sechs Szenarien zum Wiederaufbau vom Ground Zero.

Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach.