Dune (USA 2021)
Regie: Denis Villeneuve. Mit Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac.

Sandbugwellen nähern sich vom Horizont her. Aus dem fliessenden Dünenbuckel erhebt sich, wie ein Riesenfisch knapp unter der Wasserlinie, ein Moby Dick des Sands und reisst bedrohlich das riesige Maul auf, ein einziges gewaltiges schwarzes Loch mit weissen Dornen. Es ist der 400 Meter lange Shai-Hulud, ein Sandwurm. Ein King-Kong-artiges Horrorungetüm, zugleich Lieferant des kostbaren «Spice»: eines wertvollen Gewürzes, das den Menschen übermenschliche Fähigkeiten verleiht und ihnen als Treibstoff für die überlichtschnelle Raumfahrt dient.

Das galaktische Imperium, das im 11. Jahrtausend über Tausende besiedelter Planeten herrscht, ist dem Gewürz auf dem Shai-Hulud-Planeten Arrakis ausgeliefert; es ist die ökonomische Existenzgrundlage. Von den einheimischen Fremen – Nachfahren einer neoislamischen Volksgruppe von der Erde, die längst in Vergessenheit geraten ist – wird das wirbellose Ungetüm verehrt. Wasser ist auf Arrakis so kostbar, dass die Fremen selbst noch ihren Toten und im Kampf Gefallenen sämtliche Flüssigkeit entnehmen.

Auf diesen unwirtlichen Planeten muss Herzog Leto Atreides mitsamt seiner Gefolgschaft auf Befehl des Imperators umziehen. Er soll den Abbau des «Spice» vorantreiben und sich mit dem Wüstenvolk der Fremen arrangieren. Leto ahnt, dass die Umsiedlung eine Intrige des Feudalsystems ist, weil er diesem ein Dorn im Auge ist. Er hat einen ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit und Ökologie, was den Rabulisten-Völkern wie den Sardaukar nicht passt. Also werden Leto und seine tolle Gefolgschaft von punkähnlichen Glatzköpfen abgemurkst. Nur Jessica, des Herzogs Konkubine, und Paul, der edle Sohn der beiden, entkommen dem Massaker und werden von Fremen gerettet. Paul, dem messianische Fähigkeiten prophezeit wurden, wird vom Wüstenvolk als «Mahdi» verehrt und Jessica als «Ehrwürdige Mutter».

 

Religiöses Brimborium

 

Das ist natürlich – extrem verknappt – nur der erste Teil einer mächtigen Saga, die sechs Bände umfasst und deren Auflagen inzwischen astronomische Höhen erreicht haben. «Der Wüstenplanet», oder «Dune» im Original, übertrifft Tolkiens «Herr der Ringe» und George Martins «Game of Thrones». Aber damit nicht genug. Er gilt laut Umfragen bis heute als bester Science-Fiction-Roman aller Zeiten. Als David Lynch 1984 «Dune» verfilmte, kam es zu einem neuen Verkaufsschub; nach der Neuverfilmung durch den Frankokanadier Denis Villeneuve («Sicario») dürften die Druckmaschinen abermals heisslaufen.

Aber was, um Himmels willen, ist am «Wüstenplaneten» so ausserordentlich? Wieso gilt ein Romanzyklus, der mit einem bemerkenswert beschränkten Wortschatz auskommt, eher handlungsarm ist und mit dem für dieses Genre üblichen religiös-gralshaften Brimborium, kosmischem Prophezeiungs- und Theosophiegeraune sowie Feierlichkeits- und Sakralisierungspathos, ausgestattet ist, als so aussergewöhnlich? Zugegeben: «Dune» war das erste Epos, das Fantasy mit Science-Fiction (SF) verknüpfte. Aber reicht das, um es gleich zum besten aller SF-Werke zu erklären?

Autor Frank Herbert (1920–1986) war Journalist, TV-Kameramann, Rundfunksprecher und Austerntaucher, ehe er 1963 den ersten Teil von «Dune» publizierte. Darauf kam gleich die SF-Community mit dem Hugo Award, einer angesehenen Auszeichnung. Kommerziell blieb die Crossover-Mär ohne Resonanz. Ein galaktisches Kaiserreich der Zukunft, ein Wüstenplanet mit bizarren Wüstenwürmern und ein Messias – klang prima, aber die Handlungsarmut über 700 Seiten?

Herbert liess sich nicht beirren und produzierte weitere Schwarten: 1969 «Dune Messiah», 1976 «Children of Dune». Der dritte Band erschien in einer Auflage von nur gerade 5000 Exemplaren. Doch dann begann die Mundpropaganda, die «Dune» auf die Bestsellerliste von Publishers Weekly hievte. Darauf folgten Talkshows, Interviews, Signierstunden – der Run begann.

Und von dem wollte die Filmbranche, der grösste Wegelagerer am Entertainment-Highway, profitieren. Die Wüste ist grundsätzlich ein verlockender, exotischer Blickfang, dazu Intrigen im galaktischen Raum – und der Wurm. Der Riesenwurm! Anfang der 1970er Jahre war Produzent Arthur P. Jacobs, der mit «Planet of the Apes» (1968) der Gattung ohnehin zugetan war, ganz heiss auf den Wurm. Im Gespräch als Regisseure waren David Lean («Lawrence of Arabia») und Franklin J. Schaffner («Planet of the Apes»). Doch bevor die Filmrechteverhandlungen abgeschlossen waren, starb Jacobs überraschend.

Also schnappte sich Verleger und Produzent Michel Seydoux den Wurm, mit einer grossen Nummer im Portfolio: Alejandro Jodorowsky. Der Chilene gehört nicht zur konventionellen Regiegilde, sondern zu den Exzentrikern. Mit jedem Film will er das Firmament schlachten («Montana Sacra», 1973); mit «Dune» wollte er das ganze Universum aufreissen (2013 wurde ein Asteroid nach ihm benannt), jedenfalls den «grössten Film aller Zeiten drehen».

Schon die Besetzung liess aufhorchen: Mick Jagger, Orson Welles, Udo Kier; Salvador Dalí sollte den Imperator mimen (100 000 Dollar für jede Auftrittsminute), H. R. Giger Modelle entwerfen, Comickünstler Moebius die Bühnenbilder kreieren, Pink Floyd sollten die Musik schreiben – bis ob so viel Masslosigkeit Seydoux kalte Füsse bekam. Das Projekt wurde abgeblasen, Jodorowsky tobte. Er tobte noch mit einem Dok-Film («Jodorowskys Dune», 2013).

Nach Seydoux’ Ausstieg krallte sich 1978 Dino De Laurentiis die Rechte und wollte Ridley Scott («Alien») als Regisseur. Nach sieben Monaten schmiss dieser hin und drehte lieber «Blade Runner». Ein weiser Entschluss, denn die Vorlage «Do Androids Dream of Electric Sheep?» von Philip K. Dick ist in jedem Fall anspruchsvoller als der angeblich beste SF-Roman aller Zeiten. Hinzu kam, dass ein anderes Galaxiemärchen mit putzigen Figuren die Kassen klingeln liess, «Star Wars», dessen Schöpfer George Lucas sich auch bei «Dune» bedient hatte (der Planet Tatooine).Es war also nicht nur Eile geboten, auch ein Kontrast zum Kinderkram musste geschaffen werden, ein Regisseur musste her, der wie Jodorowsky auch ein wenig spinnt.

Da war David Lynch, dessen grausig-genialer Erstling «Eraserhead» (1977) beste Empfehlung dafür war, genau der Richtige. Sein «Dune» (1984) – Laufzeit über fünf Stunden! – war eine Art riesenhafte Vergrösserung einer labyrinthischen Wurmsaga. Im Gegensatz zum «Nibelungen»-Siegfried, der seinen Lindwurm nur abzustechen brauchte, gelingt es dem verspielten Prinz Paul Atreides, die Sandwürmer auf Arrakis als Wüstensurfbretter zu benutzen – was die bösen Intriganten und Sado-Kretins sehr wurmt.

 

Edel raunende Langeweile

 

Lynchs Film wurde ein grossartiger Murks, er relativierte den penetranten Messiaskult des Romans durch seine monströse Horrorpoesie und eine schräge Röhrengotik, bevölkert von genetischen Ekel-Freaks – Lynchs Obsessionen perverser Missbildungsfantasien eben. Nur De Laurentiis kapierte das natürlich nicht, am allerwenigsten die Länge von fünf Stunden. Da ihm der Final Cut zustand, kürzte er das monströse Opus rabiat auf zweieinhalb Stunden; und so klaffen Löcher zwischen Skurrilcomic und Märchenmagie. Der Film wurde ein Flop.

Das Interesse am Sandwurm aber blieb. 2000 machte sich John Harrison, Ex-Assistent der Horrorfilmikone George Romero, an eine TV-Verfilmung. Die Miniserie lief in Deutschland auf Pro Sieben und war totaler Quatsch, was auch für die folgende Miniserie-Version «Children of Dune» (2003) gilt. Noch einmal also gefragt: Was ist an Herberts Saga so magisch, dass auch der angesehene Frankokanadier Villeneuve die Finger von «Dune» nicht lassen konnte?

Herbert schrieb und lebte in der Zeit der Ölkrise, des Kalten Kriegs, des Sektenunwesens, Vietnams, der Flower-Power-Bewegung, des Pazifismus, der Drogen. Daraus bastelte er sein Weltbild, bediente sich bei Klassikern, von der «Odyssee» bis zur Artussage, und erkannte, dass die Wüste die ideale Grundierung für allerlei Metaphorisches bietet: von den Propheten monotheistischer Religionen, die aus der Wüste kamen, bis zum Sand als Menetekel (Trinkwassernot!).

Villeneuve behauptet, «Dune» sei sein Jugendtraum. Deshalb wollte er ihn unbedingt realisieren. Sollte seine Version, die über 150 Millionen Dollar kostete, reüssieren, werden weitere Teile folgen. Der komplette Zyklus auf der Leinwand – ein Traum von Villeneuve? Immerhin ist es ihm gelungen, Spektakel und Symboltiefsinn zu fusionieren. Dennoch bleibt das intergalaktische Heilsgemetzel der Sandwurmbändiger, Gralshüter und Zauberpropheten stellenweise langweilig, so edel raunend es auch daherkommt. Da nützen die ganzen Klimawandelhinweise auch nichts.