Tiktok made me buy it» – nirgendwo floriert das von Influencern betriebene Anpreis- und Kaufgeschäft so wie auf der angeblich beliebtesten Social-Media-App der Welt. Im 16. Jahrhundert wurden Sterneleser beziehungsweise Hobby-Astrologen als «Influencer» bezeichnet und Leute, die Einfluss auf den Glauben anderer nahmen. Heute sind Influencer guruhafte, meist junge und attraktive Menschen der Generation Z, die auf sozialen Medien mit Markenprodukten werben, meist Kosmetik, Kleidung oder Wohnaccessoires – das alles in intimen und persönlichen Settings –, und damit einigermassen wohlhabend und meist auch halbwegs «berühmt» werden. Laut dem Konsumforschungsinstitut für virtuelle Medien GWI ist die Zahl der Konsumenten, die sich auf sozialen Medien zum Kauf von Produkten inspirieren lassen, seit 2015 um 43 Prozent gestiegen; der Marktwert der Influencer-Industrie lag 2022 bei 16,4 Milliarden US-Dollar.

Unter dem Hashtag odeinfluencing startete Anfang Februar eine vehemente Bewegung gegen Kaufhysterie und übermässigen Konsum, mit bereits über 76 Millionen Views auf Tiktok. «Deinfluencer» versuchen, die von Influencern angepriesenen Produkte zu entmystifizieren, indem sie sie durch bessere und günstigere ersetzen, oder sie als das entlarven, was sie oft sind: unnötiger Schrott. Konsum sei schon lange in sinnlosen Kaufrausch gemündet, sagt die Deinfluencerin Jessica Clifton (oimpactforgood), sie glaubt an «weniger ist mehr» und daran, dass wenige, ausgewählte Produkte ausreichen.

Deinfluencer beziehungsweise User, die auf sozialen Medien das moderne Konsumverhalten anprangern und dabei Namen wie «rohe Schönheit» oder «nur das Nötigste» tragen, sind nicht ganz neu. Überraschend ist aber das explosionsartige, rasche Ausufern der Bewegung, als gehe es auf den ersten Blick tatsächlich um so etwas wie einen allgemeinen Überdruss am Kauf, der sich nun endlich Bahn bricht.

Anlass für odeinfluencing war der sogenannte omascaragate-Skandal: Am 24. Januar hatte die auf Tiktok von über 14 Millionen Followern begleitete Influencerin Mikayla Nogueira, die 2021 von der Vogue noch als Tiktoks beliebteste Make-up-Künstlerin ausgewiesen wurde, ein Video gepostet. Auf diesem stellte sie die neue L’Oréal-Mascara «Telescopic Lift» mit den Worten vor: «This literally just changed my life. This looks like false lashes» und «These are the lashes of my dreams». Der prompte Verdacht auf Seiten der Viewer: Nogueira soll tatsächlich falsche Wimpern getragen haben, tat aber so, als habe die Mascara Wunder bewirkt. Misstrauische Tiktoker rannten los, kauften «Telescopic Lift» und posteten unter omascaragate Bilder der Resultate – ein unverhoffter Werbecoup für L’Oréal, denn die Mascara ist tatsächlich gut.

Es geht nicht ohne Belehrung

Influencing ist Werbung. Nur: Ging es in der Werbung je um Wahrheit? Oder geht es nicht eher um das Glücksgefühl beim Schauen, wohl wissend, dass die Realität es nie wird einlösen können? So entsteht auch beim Schauen der meisten odeinfluencing-Clips der Eindruck, dass frei nach dem Motto «Hab ich’s als Influencer nicht geschafft, dann versuche ich es eben als das Gegenteil» unter odeinfluencing weiterhin geworben und gebuhlt wird: um Produkte, Likes und Followers. Im Kampf gegen den «Hype» hypen beide Fronten. Es geht nicht ohne Kauf-Kauf, es geht nicht ohne Belehrung, auf der einen Seite die Mascara-Fraktion, auf der anderen die Naturbelassenen. Am Ende wollen doch alle dasselbe: ein kleines bisschen Aufmerksamkeit.