Die staatlich mitfinanzierten Pressure-Groups wie Alliance Sud und Erklärung von Bern, die via OECD den automatischen Austausch von Bankdaten erzwingen wollen, haben für ihr Ziel, den Datenschutz der Bankkunden zu liquidieren, schon eine Abkürzung gefunden und detaillierte Vorstellungen der Umsetzung entwickelt. Das Kürzel heisst ­AIAT (Automatischer Informationsaustausch); das Konzept muss jedem liberalen Bürger Angst machen.

Die Basis für das mehrstufige AIAT-System ist die 2010 verfasste und der OECD zugelei­tete «Civil Society Agenda for the OECD», die in Folgepapieren der Organisationen konkretisiert worden ist. Technisch beginnt das Verfahren fast harmlos: Schweizer Banken übermitteln die ihnen vorliegenden Informationen über ausländische Kunden und Firmen (Wohnort, Geburtsdatum, Konten, Depots, physische Vermögenswerte, Teilhaberschaften etc.) den Bundesbehörden. In Bern werden die Daten nach Ländern sortiert und, neu gebündelt, elektronisch den Steuerämtern auf der ganzen Welt zugeleitet. Im Gegenzug händigen die Fiskaljäger anderer Staaten der Eidgenössischen Steuerverwaltung die Finanzinformationen aus, die ausländische Banken über ihre Schweizer Kunden besitzen. Bern sortiert wieder und leitet dieses Material schliesslich den einzelnen Kantonen zu, die es speichern, sichten und bearbeiten.

Der ungehinderte Fluss privater Daten über Grenzen und Kontinente von Steuervogt zu Steuervogt ist allerdings nur die erste AIAT-Stufe. Als Fortsetzung wird ein noch weiter gehender «Informationsaustausch auf Anfrage» eingerichtet. Fällt zum Beispiel ein deutscher Steuerpflichtiger den Behörden auf, so können diese detailliertere «Dokumente und Unter­lagen» anfordern, die allenfalls auch vor deutschen Gerichten verwendet werden können.

Eine ganz neue Qualität

Nach der Logik von Finanzministerin Eve­line Widmer-Schlumpf (BDP) und des Präsidenten der kantonalen Finanzdirektoren, Chris­tian Wanner (FDP), wonach ausländische Fahnder nicht mehr Rechte haben dürfen als die schweizerischen, wird der automatische Transfer der Bankdaten der Schweizer Bürger an die eidgenössischen und kantonalen Steuer­ämter die dritte AIAT-Stufe sein.

Die Promotoren des flächendeckenden ­AIAT – hauptsächlich linke Kreise, die vor gut zwanzig Jahren in heller Empörung Sturm gelaufen waren gegen die Bundespolizei, die Daten sammelte, Fichen anfertigte und bearbeitete – wollen beruhigen. Sie behaupten, das Argument, mit der automatischen Lieferung sensibler Zahlen an die Steuerpolizei werde die Privatsphäre zerstört, sei nichts als «grober Unfug». Erstens stünden diese Informationen nur Amtsstellen zur Verfügung (und nicht «den Nachbarn»!). Zudem herrsche mit der direkten Zustellung der Lohnausweise ans Steuerbüro bereits heute ein Automatismus. Und überhaupt, wer nichts zu verstecken habe, brauche sich nicht zu fürchten.

Das ist dreifach grober Unfug, wie die Er- fahrung und die (Fichen-)Geschichte lehren. Was ein Amt weiss, will subito jedes andere erfahren. Polizei, (internationale) Nachrichten- und Sicherheitsdienste oder Personenüberprüfer verlangen und praktizieren «Ver- netzung». Und auch wer nichts Illegales tut, wehrt sich gegen automatische Hausdurch- suchungen. Schliesslich schafft der AIAT-Datentausch eine ganz neue Qualität. Die Excel- Tabellen und Dokumente der Banken verletzen die persönliche Freiheit des einzelnen Menschen tiefer, als die schlimmste Fiche es jemals tun konnte.

Von Bedeutung sind zwei Faktoren: die ­Tiefenschärfe der ausgehändigten Informationen, die fast immer auch Drittpersonen betreffen, sowie der Umgang mit den Zahlensammlungen.

Um sich ein realistisches Bild zu machen, wie umfangreich und detailliert die zu übermittelnden Informationen sind, kann man sich auf das Material abstützen, das die Banken (respektive die Steuerverwaltung) unter Druck bereits heute in die USA senden. Gemäss den verbindlichen Weisungen aus Widmer-Schlumpfs Finanzdepartement müssen nicht nur Angaben über Konten und Depots ausgehändigt werden, sondern auch die Namen und Adressen aller Personen, die in irgendeiner Form Zugriff auf Vermögenswerte haben, sämtliche Organe einer Gesellschaft, ­einer Stiftung oder eines Familienverbundes. Kurz: alle «Personen, die [. . .] in den Bankdaten erscheinen (z. B. Familienangehörige»).

Verlangt werden auch nicht nur die Vermögensstände zu einem bestimmten Stichtag, sondern die vollständige Auflistung aller Transaktionen («Personen und Banken, die Vermögen auf das betroffene Konto überwiesen haben oder denen relevantes Vermögen überwiesen wurde»). Das können Zahlungen innerhalb der Familie oder an Menschen und Organisationen sein, die niemand gerne öffentlich macht. Zudem müssen Auskünfte erteilt werden über die Namen, Funktionen und Aufzeichnungen der bankinternen Kontaktpersonen der Steuerpflichtigen sowie deren «externe Vermögensverwalter sowie andere Personen [. . .] (z. B. Treuhänder, Anwälte)».

Wer über diese Zahlen und Angaben verfügt, kennt mehr als das halbe Leben des Menschen, den er amtlich durchleuchtet. Er weiss nicht nur alles über Vermögen, Schulden, Verpflichtungen, Verbindungen; er kann das vollständige Netz der persönlichen Kreuz- und Querbeziehungen zeichnen. Geschäftsgeheimnisse gibt es keine mehr.

Wer sich damit trösten will, dass keine Dienststelle der Welt diese Milliarden von Namen und Zahlen auf den endlosen Exel-Tabellen vollständig bewältigen kann, der irrt nochmals. Da es tatsächlich unmöglich ist, die gesamte elektronische Springflut zu verarbeiten, wird selektiv nachgeforscht. Selektiv heisst immer willkürlich. Und willkürlich heisst meistes nicht etwa zufällig, sondern persönlich und rasch politisch. Mit Vergnügen werden in einem bürgerlich administrierten Kanton die Fiskalschnüffler die Fährte von Linken und Grünen verfolgen. Nicht minder gross wird die Gier linker Fahnder sein, SVP-Unternehmer oder Freisinnige zu durchleuchten und allenfalls an den Pranger zu stellen.

Die Bedenken des Datenschützers

Dass viele Politiker dieses einzigartige Machtinstrument in ihre Hände bekommen wollen, war absehbar. Dass nun auch erste Banker sich bereit zeigen, geschäftliche Intimitäten ihrer Kunden an den Fiskus zu verraten, irritiert zunächst. Allerdings nur jene, die dem falschen Glauben verfallen waren, das Bankgeheimnis habe etwas mit dem Schutz der Banken zu tun. Jetzt wird auch dem letzten klar, dass die (teil- liquidierte) Schweigepflicht die Garantie der Privatsphäre des einzelnen Bürgers ist (oder war). Um das Einvernehmen mit den staatlichen Autoritäten und die Geschäfte im Ausland zu sichern, opfern die Geldinstitute diese Bestimmung leichten Herzens. Die Kosten für die Erhebung und Übermittlung der sensiblen Daten können sie den Menschen, die keine Alternative haben, unter der einträglichen Rubrik «Gebühren» für die Konto- und Depotführung gleich auch noch verrechnen.

Bis vor kurzem waren es nur ultralinke ­Kreise, welche die bewährte schweizerische Fiskaldemokratie zerschlagen und eine «Fiskalokratie» (so nennt der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk den obrigkeitlichen Zugriff auf privates Gut) einrichten wollten. Nun schwenken selbst Exponenten von Parteien, die ein «liberal» im Logo führen. Das letzte Bollwerk scheint der Eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür zu sein, der das ­AITA-Modell als «bedenklich» taxiert und gegen die «Vorstellung» ankämpft, «dass der allmächtige Staat alles tun darf». Der grüne Alt-Nationalrat, der von den Poch kam, sagt: «Am Ende muss der Datenschützer das Bankgeheimnis gegen die Banken verteidigen.»