Bei mir um die Ecke gibt es eine Bio-Bäckerei, es kommt alles aus der Region, auch die Verkäuferin, deshalb trägt sie ein Kopftuch. Über dem Brotregal hängt ein Brett aus Lindenholz, in das der Sohn des Bäckers den Satz «Brot aus der Region – Qualität ist der Lohn» geschnitzt hat. Damit wollte er beim Literaturwettbewerb unserer Regionalzeitung mitmachen, aber die Jury teilte ihm mit, dass er noch mindestens zweihundert Sätze mehr schnitzen müsste, um in der Kategorie «Kurzprosa» eine Chance zu haben. Kürzlich sagte ich zur Verkäuferin, dass bei dem Spruch das Versmass nicht stimmt, es müsste heissen: «Bei Brot aus der Region ist Qualität der Lohn.» Der Sohn des Chefs hat wahrhaftig das Sprachgefühl eines Hefewürfels, aber bei jeder Demonstration gegen den Fluglärm in unserer Region lassen die Organisatoren ihn die Transparente beschriften. Einmal hat er draufgeschrieben: «Bio-Brot macht Fluglärm tot!» Hier stimmt zufällig das Versmass, dafür ist der Satz inhaltlich Bullshit, denn das Brot, das der Bursche backt, tötet nicht den Fluglärm, sondern allenfalls die Angestellten des Flughafens, dessen Kantine er damit beliefert. Der Junge verwendet permanent zu viel Sauerteig. Wenn man wissen will, wie sein Brot riecht, muss man nur einer Kuh den Kopf in den Rachen stecken, während sie rülpst. Man kann es sich auch einfach machen und hinten riechen. Unter «bio» versteht der Bursche pures Methan.
Sein Vater lässt ihn gewähren, kein Wunder, er hat früher mal Strommasten gesprengt, und seither ist er auf dem linken Ohr taub. Man muss ihm alles ins rechte Ohr rufen. Kürzlich hab ich gerufen: «Ihr Sohn kann nicht dichten und nicht backen, und Sie haben sich ein Ohr weggesprengt, aber der Mast stand noch! Auf Ihrer Familie lastet ein Fluch, den wir Kunden beim Brot Ihres Sohns schmecken können!» Ich habe ja gar nichts gegen Bio-Brot, ich finde nur, es passt nicht in unsere Region. In unserer Region züchten wir Hühner, und zwar kompromisslos. Für Freiland fehlt uns das Land. Wir können doch nicht hunderttausend Hühner eine Stunde pro Tag auf dem Kinderspielplatz frei rumlaufen lassen, die würden wir nie wieder in die Halle reinkriegen – und wo sollen die Kinder spielen, während die Hühner glücklich sind? In unserer Region wissen wir, dass das Glück des einen immer mit dem Leid des anderen bezahlt wird. Es gibt kein «bio» ohne Thanatos.
«Das solltest du mal auf euer Grünkohl-Brot schreiben!», sagte ich kürzlich zum Sohn des Bäckers, der neuerdings auf Grünkohl aus der Region setzt. Sonntags backt er Grünkohl-Croissants, die so trocken sind, dass die Kinder sonntags lieber wieder zwei Stunden lang zur Kirche gehen würden, als diese Gipfeli runterwürgen zu müssen. Sie würden lieber, wie wir früher, im Beichtstuhl unter Tränen bekennen, dass sie nachts an sich rumgedüdelt haben, als sich an den ungesüssten Haferbisquits der Bio-Bäckerei die Milchzähne auszubeissen. Als Kind kniete ich mir die Scheiben wund, aber ich war angefüllt mit Salami und Buttercreme, ich war wunderbar dick und glücklich wie ein Freiland-Huhn. «Und woher kommt überhaupt euer Grünkohl», fragte ich die Verkäuferin, «den baut doch in der Region gar keiner an! Wo denn auch! Etwa an der Absturzstelle des Airbus 320?»
Ich gebe zu, ich bin ein schwieriger Kunde. Ein Rebell. Eben ein Freiland-Mensch. Mich kriegen die mit ihrem Grünkohl nicht so schnell klein! Meiner Meinung nach braucht unsere Region keine Vollkorn-Patisserie, die schmeckt wie die Nahrung der Astronauten eines interstellaren Bio-Imperiums. Was unsere Region braucht, ist ein weiterer Flugzeugabsturz. Der Unfall des A320 hat damals Tausende von Katastrophentouristen in unsere Region geschwemmt, endlich lohnte sich der Bau unseres Autobahnanschlusses! Ich glaube, ich schnitze auf ein Brett: «A320 down – Region up!»
Linus Reichlin ist Schriftsteller und lebt in Berlin.