In der Weltwoche Nr. 7/19 habe ich den Dogmatismus der EU kritisiert und als einen der Hauptgründe identifiziert, warum sich die Schweiz nicht noch enger an diese binden soll. Die neusten Pläne des französischen Präsidenten für die EU zeigen, dass es damit noch schlimmer wird: Im Giftschrank von Emmanuel Macrons zentralistisch-dirigistischer EU-Zukunftsvision findet sich unter anderem eine Vereinheitlichung der Unternehmensbesteuerung, des Mindestlohns und anderer Sozialstandards (siehe dazu «Europa am Scheideweg» in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. April 2019). All diese wirtschaftsfeindlichen «Segnungen» werden sich in der einen oder andern Form in einer EU ohne Grossbritannien wohl bald durchsetzen und dann via Rahmenabkommen auch der Schweiz aufgezwungen werden.

Aber wir sollten nicht unsererseits in einer ebenso dogmatischen Anti-EU-Haltung verharren. Gerade wenn man das Rahmenabkommen, wie der Schreibende, ablehnt, sollte man sich der EU gegenüber pragmatisch und korrekt verhalten. Auch wenn wir uns ihr nicht unterordnen wollen, bleibt die EU für uns eine ausserordentlich wichtige Nachbarin und Partnerin. Wir brauchen deren Wohlwollen und sollten sie nicht unnötig vor den Kopf stossen, indem wir berechtigte Anliegen unserer Nachbarn aus einem dogmatischen Anti-EU-Reflex heraus ablehnen.

Am 19. Mai stimmen wir über zwei Vorlagen ab, welche für unser Verhältnis zur EU von zentraler Bedeutung sind. Zum einen geht es um die von der Schweiz seit langem versprochene Abschaffung der stark reduzierten Besteuerung im Ausland erzielter Gewinne, zum andern um Einschränkungen für den Erwerb und Besitz von halbautomatischen Waffen im Schengen-Raum, damit der Terrorismus besser bekämpft werden kann. Beide Vorlagen lassen keine Begeisterung aufkommen.

Gegen die Abschaffung der unterschiedlichen Besteuerung von Unternehmensgewinnen, die im Ausland erzielt wurden, gibt es an sich nichts einzuwenden. Diese stellt im Grunde eine Form der Steuerpiraterie dar, mit welcher wir Firmen anlocken, welche den Grossteil ihrer Gewinne im Ausland erzielen. Damit entziehen wir andern Staaten Steuersubstrat. Dieses Verhalten scheint mir unethisch und unsolidarisch, auch wenn gewisse EU-Staaten wie Irland, Luxemburg oder die Niederlande bis vor kurzem ähnliche Praktiken kannten. Wenn wir – zu Recht – von der EU fair und anständig behandelt werden wollen, können wir uns derartiges Verhalten nicht erlauben.

Natürlich könnten wir allen Firmen einfach die bisher für Inlandgewinne geltenden Steuersätze auferlegen, aber dies würde zu einem Exodus führen. Wir müssen daher die allgemeinen und künftig auf alle anwendbaren Unternehmenssteuern senken, damit die bisher privilegierten Firmen in der Schweiz bleiben. Wahrscheinlich wird dies – wie schon bei der Unternehmenssteuerreform II – mittelfristig zur Ansiedlung weiterer Firmen und zu höheren Steuererträgen führen, aber kurzfristig sind Ausfälle unvermeidlich.

Das linke Parteienspektrum, sekundiert von der einstigen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, hat vor einem Jahr einen ersten Anlauf zur Unternehmenssteuerreform gebodigt. Bei der EU stehen wir jedoch im Wort und müssen daher einen Weg finden, um das Problem innenpolitisch zu lösen.

Die Linke nutzte ihren Referendumssieg, um im Gegenzug zu ihrer Unterstützung der neuen Vorlage Konzessionen im Sozialbereich herauszuholen. Nachdem die unsinnige lineare Erhöhung der AHV-Renten um 75 Franken am bürgerlichen Widerstand bei der Volksabstimmung gescheitert ist, soll nun die AHV ohne Angleichung des Frauenrentenalters für die nächsten Jahre mit höheren Lohn- und Bundesbeiträgen gesichert werden.

Es ist sicher sehr unschön und ein problematisches Präjudiz, wenn derart unterschiedliche Anliegen in einer Vorlage verknüpft werden. Allerdings gibt es insofern einen minimalen Zusammenhang, als Unternehmen mit Hauptaktivitäten in der Schweiz von der Senkung der bisherigen Steuern profitieren, weshalb sie sich etwas höhere Lohnbeiträge leisten können. Vor allem aber müssen wir nicht nur wegen drohender EU-Sanktionen, sondern auch aus Anstand und um Wort zu halten endlich die unterschiedliche Besteuerung der Auslandgewinne abschaffen. Offensichtlich ist die dafür unabdingbare Senkung der allgemeinen Unternehmenssteuern nicht gegen den Widerstand der Linken durchzubringen – daher die Paketlösung mit der AHV. Das Päckli stört nicht nur rechte, sondern auch linke Puristen, aber es entspricht der schweizerischen Kompromisskultur und ist einem erneuten Scherbenhaufen sicher vorzuziehen.

Beim Waffengesetz liegen die Dinge ähnlich. Auch hier geht es um ein berechtigtes Anliegen der EU, dessen Erfüllung demokratiepolitisch unschön ist. Es ist einsichtig, dass in einem Raum ohne Grenzkontrolle eine Terrorbekämpfung nur möglich ist, wenn unter anderem der Zugang zu halbautomatischen Waffen in allen dazugehörenden Staaten erschwert wird. Für einmal hat die EU den historischen Spezifitäten der Schweiz weitgehend Rechnung getragen. Unsere Diplomaten haben eine Ausnahme erreicht, welche nur auf die Schweiz anwendbar ist. Die verbleibenden Einschränkungen sind für anständige Waffenträger sicher ärgerlich, aber unser Miliz- und unser Schützenwesen bleiben erhalten. Es ist zwar unschön, dass wir das Waffengesetz wegen der EU revidieren müssen und die Diskussion sich weniger um die Rechtfertigung der Einschränkungen als um die Grundsatzfrage dreht, ob wir mit einem Nein den Rauswurf aus dem Schengen-Raum riskieren wollen. Aber die Notwendigkeit der Reform im Interesse der Terrorbekämpfung im Schengen-Raum ist nachvollziehbar, deren Auswirkungen sind dank der Sonderregelung für die Schweiz tragbar.

Wer zu nachvollziehbaren Ansinnen unserer Nachbarn ja sagt, auch wenn die fraglichen Vorlagen keine Begeisterung auslösen, kann es sich umso besser erlauben, einen dogmatischen Protektoratsvertrag wie das Rahmenabkommen abzulehnen.

Herodot ist ein der Redaktion bekannter Weltreisender, seit Jahrzehnten wissenschaftlich und politisch tätig, u. a. für die Uno.