Kennen Sie den? Ein Kellner in einem Wiener Beisl nimmt Bestellungen auf. Ein Gast, vermutlich ein Piefke, wünscht sich etwas «typisch Österreichisches», ein anderer möchte ein Fiakergulasch, ein dritter das «Seniorengericht» und der vierte etwas Leichtverdauliches. Der Kellner notiert sich alle Gästewünsche, geht in die Küche und ruft: «Viermal den Tagesteller!»
Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sitzen im ICE der Deutschen Bahn, sagen wir auf der Strecke von Hamburg nach Frankfurt. Der Zug hat keine Verspätung, das Bistro ist geöffnet, die Klimaanlage funktioniert, und auch die Toiletten können benutzt werden. Ein Glückstag!
Sie kommen mit dem Passagier vis-à-vis ins Gespräch, der das Greenpeace-Magazin liest. Er reise nur noch mit dem Zug, um seine persönliche CO2-Bilanz aufzubessern. Die Züge seien mit «100 Prozent Ökostrom» unterwegs, es gebe «keine CO-Emissionen». Ausserdem zahle er für die Billette dank einer Bahncard 50 nur die Hälfte. Tolle Sache, denken Sie, gut für die Umwelt und für den Geldbeutel.
«Haben Sie auch eine Bahncard?», will Ihr Gegenüber wissen. «Nein», sagen Sie. «Wie schade», meint der andere Reisende, denn nur die «Bahncard-rabattierten Fahrten in Fernverkehrszügen innerhalb Deutschlands» würden «CO-frei durchgeführt». Sie stutzen. Wie kann es denn sein, dass ein Reisender mit «100 Prozent Ökostrom» befördert wird, der andere aber mit Kohle- oder gar Atomstrom? Im selben Zug, im selben Wagen? So sei es eben, sagt Ihr Gegenüber, aber wenn Sie das nächste Mal CO-frei reisen möchten, dann könnten Sie es auch ohne Bahncard tun, «für nur 1 Euro mehr pro Person und Richtung», wenn Sie bei der Buchung die Option «Umwelt-Plus» wählen.
Den Rest der Reise verbringen Sie damit, nachzudenken, wie die Bahningenieure es schaffen, die Stromversorgung in einem ICE so zu individualisieren, dass jeder Reisende seinen eigenen Strom bekommt, vorausgesetzt, er hat eine Bahncard oder er hat bei der Buchung den «Umwelt-Plus»-Tarif gewählt. Ja, die deutsche Ingenieurskunst! AEG, Degussa, Siemens, Topf & Söhne. Doch dann fällt Ihnen der Witz mit dem Wiener Beisl ein, und Sie verstehen, wie die Sache mit dem Ökostrom funktioniert.