Schon der erste Blick lässt das Herz höherschlagen. In einem Schaukasten liegen Auszüge aus der Inquisition gegen Galileo Galilei, der die Kirche in Bedrängnis brachte mit seiner Erkenntnis, dass die Erde um die Sonne kreist. Galileis Verurteilung ist dokumentiert und die von ihm verfasste Abschwörung signiert vom Astronomen persönlich.
Die hundert Exponate, die in den Gemächern der Kapitolinischen Museen folgen, sind Perlen der Weltgeschichte, die sich zu einer abenteuerlichen Reise durch zwölf Jahrhunderte reihen. «Lux in arcana» (Licht auf die Geheimnisse) haben die Kuratoren die Ausstellung publikumswirksam getauft. Geboten werden erlesene Schätze aus 85 Regalkilometer Vatikan-Akten, die erstmals öffentlich gezeigt werden.
Die Bannbulle zum Beispiel, mit der Papst Leo X. Reformator Luther exkommunizierte. Oder Dokumente zur folgenreichen Ehescheidung des englischen Königs Heinrich VIII. Obskures ist zu sehen, wie der Brief der heiligen Bernadette von Lourdes an Papst Pius IX., nachdem dieser das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens erlassen hatte. Einzigartiges, wie eine auf Birkenrinde gekritzelte Botschaft von bekehrten Ojibwe-Indianern, verfasst am «Ort, wo die langen Gräser wachsen». Bisweilen stockt einem der Atem. Ob der Zeilen Marie Antoinettes etwa, aufgesetzt vor dem Gang zum Schafott: «Les sentiments de ceux qui partagent ma douleur», schreibt sie dem Papst, «sont la seule consolation que je puisse recevoir dans cette triste circonstance.»
Der Vatikan offenbart nichts, was ein schiefes Licht auf seine Geschichte werfen könnte. Mit Entzücken studiert man dennoch Schriftstücke Lincolns, Napoleons oder Kopernikus’, und stösst hinter den Siegeln aus Blei oder Gold auf den Mantel der Geschichte, der zum Weiterlesen anregt. Bisweilen entdeckt man Subversives. So im Brief des japanischen Kaisers Hirohito an Pius XII., wo er dem «Chef der römischen Lehre» zur Papstwahl gratuliert – womit er signalisiert, dass wir es mit einer Lehre unter vielen zu tun haben und der Pontifex die Wahrheit nicht gepachtet hat.
Urs Gehriger