Als Vladimir Petkovic im September dem erstbesten Angebot nach Bordeaux folgte und die Schweizer Nationalmannschaft ihrem Schicksal überliess, umfasste die Liste seiner Nachfolger 29 Namen. Gehandelt wurden Koryphäen des Geschäfts wie Arsène Wenger, Joachim Löw oder Jürgen Klinsmann. In einer Online-Umfrage des Blicks stimmten am meisten User (27 Prozent) für den Zürcher Urs Fischer. Gerade mal 3 Prozent der Voten gingen an Murat Yakin.

Zweieinhalb Monate später ist alles anders. Yakin brauchte nur sieben Spiele, um seinen Vorgänger vergessen zu machen und sich selbst ein kleines Denkmal zu setzen. Die Art und Weise, wie er mit seiner Mannschaft dem Europameister Italien zweimal ein Unentschieden abtrotzte und zum Abschluss Bulgarien 4:0 vom Platz fegte, räumt alle Zweifel aus dem Weg.

Dabei sind es weniger die Leistungen als die Umstände, die dem Trainer ein Topzeugnis ausstellen. Am vergangenen Montag in Luzern fehlten den Schweizern (neben Regisseur Granit Xhaka) praktisch alle regelmässigen Torschützen sowie drei Viertel der üblichen Verteidigung.

Doch Murat Yakin liess sich nicht beirren. Mit Coolness, Cleverness und Charme warf er einen Rookie nach dem anderen in die Schlacht – und erntete den verdienten Lohn. Er war selbst dann noch ein Conférencier der guten Laune und der Gelassenheit, als einige vor dem Italien-Spiel den Teufel an die Wand malten.

«Niederlagen blendet er aus»

Der ewige Fussballmanager Erich Vogel sagt über Murat Yakin: «Er ist mit dem Sieger-Gen auf die Welt gekommen. Niederlagen blendet er aus. Sie sind für ihn zufällige Missgeschicke der Natur.» Kaum etwas könnte Yakin, den Secondo, der ohne Vater aufwuchs und früh die Verantwortung des Familienoberhaupts übernahm, besser charakterisieren.

Yakin ist aber auch ein Trainer, der seinen Spielern Lust, Spass und Freude am Spiel vermittelt. Gleichzeitig kann er auf dem Trainingsplatz ein unbarmherziger Geist sein. Dass er in Basel trotz Meistertiteln, Erfolgen im Europacup und grossem Sozialprestige einst Knall auf Fall gehen musste, lag an seinem komplexen Verhältnis zu einigen Führungsspielern. Yakin duldet keinen zweiten Chef neben sich.

Yakin vermittelt Lust, Spass und Freude am Spiel. Gleichzeitig kann er ein unbarmherziger Geist sein.

Mut zum Risiko

Als Spieler wurde Murat Yakin eine gewisse Nonchalance nachgesagt. Das Nachtleben war ihm nicht fremd. Mit Obrigkeiten tat er sich oft schwer. Die eher hemdsärmeligen Nationalcoaches Gilbert Gress und Enzo Trossero waren nicht seine besten Freunde. In Kaiserslautern rieb er sich an Trainer Andreas Brehme auf.

Mittlerweile ist Murat Yakin selbst ein Chef, der keine Kompromisse duldet: «Man kann mit mir ein Mal über etwas diskutieren – vielleicht auch zwei Mal. Aber beim dritten Mal muss es der Spieler verstanden haben. Das ist oft das, was den Spielern der heutigen Generation fehlt – das Verständnis für drohende Konsequenzen. Sie hören die Warnsignale nicht.»

Bei seinem Führungsstil scheut Trainer Yakin das Risiko nicht. Sportlich hätte zuletzt kaum ein Weg an der Nomination des formstarken Berners Michael Frey vorbeigeführt. Frey schiesst für Royal Antwerpen in dieser Saison Tor um Tor.

Doch Yakin glaubte zu spüren, dass der unberechenbare und redselige Puncher die Balance im Team durcheinanderbringen könnte. Und er zeigte damit indirekt auch, dass ihm die Meinung in seiner alten türkischen Heimat noch immer wichtig ist. Denn Frey hat sich während seines Engagements bei Fenerbahce Istanbul keine neuen Freunde gemacht.

Affront gegen die Bescheidenheit

Wo Murat Yakin auftaucht, ist sein Bruder Hakan normalerweise nicht weit. Die beiden arbeiteten schon in diversen Klubs zusammen – mit allerdings klar verteilten Rollen. Murat war immer der Chef, Hakan der loyale Zuträger. Zuletzt war dies beim FC Schaffhausen so. Und viele rechneten damit, dass dies auch bei der Nationalmannschaft nicht anders wird. Doch dafür ist Murat zu schlau. Hätte er die Schweizer Nationalmannschaft zur Familienangelegenheit degradiert, wäre die Angriffsfläche sofort gross gewesen.

Trotzdem wird Murat Yakin auch in Zukunft kein Mensch sein, der es allen recht macht. Sein Selbstvertrauen kann ihm auch als Arroganz ausgelegt, seine Stilsicherheit als Affront gegen die urhelvetische Bescheidenheit wahrgenommen werden. Doch er hat in seiner kurzen Zeit als Nationaltrainer nicht nur die erfolgreiche Arbeit von Vladimir Petkovic weitergeführt (und dabei wesentlich mehr Volksnähe zugelassen).

Er hat auch ein Ding der vermeintlichen Unmöglichkeit geschafft: Dank Yakin ist der ungeliebte WM-Schauplatz Katar plötzlich zum Sehnsuchtsort des Schweizer Fussballs geworden.