Mein Freund Bruno lebte mal eine Zeitlang in Phoenix, Arizona. Da war er noch jung. Das heisst, es muss irgendwann um 1870 herum gewesen sein. «Quatsch», sagte Bruno, «es war 1975!» «In letzter Zeit siehst du ehrlich gesagt hundert Jahre älter aus, als du bist», sagte ich. «Ja, weil ich diese Pillen nehmen muss!», sagte Bruno. Es sind Pillen gegen eine Herzerkrankung, und von denen nimmt er zu, weil sie den Stoffwechsel verlangsamen. Nun müsste man denken, dass ein praktisch zum Stillstand gekommener Stoffwechsel dazu führt, dass ein Mensch nicht mehr altert. Aber in diesen Pillen ist irgendeine widersprüchliche Chemie drin, die den Stoffwechsel stoppt und gleichzeitig die Alterung beschleunigt. Und als Nebenwirkung von all dem wird man fett. Es gibt bei diesen Pillen, die Bruno immer morgens und abends zusammen mit einem Magnesiumpräparat nimmt, praktisch keine erkennbaren positiven Nebenwirkungen – ausser, dass er noch nicht tot ist. Ohne die Pillen würde Bruno vielleicht schon mit den Füssen voran vor dem Fernseher liegen. Andererseits liegt er ja eigentlich schon die ganze Zeit so da. Seit er die Pillen nimmt, bewegt er sich nicht mehr so gern, und deswegen hat er sich einen Miller-Chair mit Fussteil gekauft. Es ist praktisch ein Bett. Und in diesem chair liegt er jetzt schon mittags mit den Füssen zum Fernseher und isst Rauchmandeln. Der einzige Unterschied zwischen einem toten Bruno und einem, der dank den Pillen noch lebt, ist, dass Bruno im Liegen noch Rauchmandeln isst. Aber diese Mandeln sind natürlich auch ein zweischneidiges Schwert. Sie tragen nicht gerade zur Reduktion seines Körpergewichts bei. Andererseits entziehen die Pillen Brunos Körper halt eben gewisse Salze und Mineralien: Das verschweigt die Pharmaindustrie natürlich, um die Liste der Nebenwirkungen nicht ins Endlose anwachsen zu lassen. Wie auch immer: Ohne die salzigen Rauchmandeln würde Brunos Blutdruck zu stark sinken. «Ja, lach nur», sagte Bruno, «aber das ist so!» «Ich lache doch gar nicht», sagte ich, «ich beurteile doch keinen Menschen nach den Nebenwirkungen seiner Medikamente!»

Obwohl das eigentlich richtig wäre. Denn ich stelle fest, dass die Leute in meinem Bekanntenkreis sich charakterlich verändern, und zwar je nach Nebenwirkung ihrer Medikamente. Der eine war früher abenteuerlustig und sexuell aktiv, aber weil seine Medikamente die Osteoporose verstärken und die Libido mindern, hat er die Fallschirm- und Seitensprünge aufgegeben und sich eine Märklin-Eisenbahn gekauft. Er ist jetzt ein Langweiler. Ein anderer wiederum war früher ein ausgesprochener Langweiler und Langschläfer. Aber da seine Medikamente Schlafstörungen verursachen, fährt er stundenlang rastlos durch die nächtlichen Strassen der Stadt, schliesst Freundschaften mit Prostituierten und Obdachlosen und will neuerdings in die Ukraine, um dort zu kämpfen.

Wie auch immer. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass Bruno jetzt dauernd von seinem Jahr in Phoenix, Arizona erzählt, als die einzigen Medikamente, die er zu sich nahm, Meskalin, LSD und Haschischkekse waren. Die hatten natürlich auch Nebenwirkungen, aber die Wirkung war so toll, dass man die Nebenwirkungen gern in Kauf nahm. «Ich wünschte, ich könnte das von meinen Herzpillen sagen», sagte Bruno in seinem Miller-Chair, mit den Füssen zum . . . Ja, lacht nur! Ihr alle, die ihr jünger als sechzig seid! Das Lachen wird euch noch vergehen, sobald ihr die Schwelle zum Medikamentenalter überschritten habt und erkennt, dass der Mensch ab diesem Punkt nur noch lebt, um seine Pillen zu schlucken. Ab da ist er nur noch ohnmächtiger Kunde der Nebenwirkungskonzerne und der Apothekerinnen, die sagen: «Sie dürfen aber mit diesem Medikament keinen Alkohol trinken! Und Bier ist auch Alkohol!»