Dass ausgerechnet der überaus bürgerliche Kanton Aargau zu Beginn dieses Jahres die Asylnotlage ausgerufen und eine Notverordnung erlassen hat, die im Extremfall sogar die Beschlagnahme privater Liegenschaften erlaubt, dürfte manchen erstaunt haben. «Dann müssen wir im Regierungsrat darüber nachdenken, nach Corona bereits wieder eine Notsituation nach Zivilschutzgesetz auszurufen», wird SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati in der Aargauer Zeitung in diesem Zusammenhang zitiert.

Nun gut, Gallati gehört wohl kaum zum liberalen Flügel der SVP, wie an seinem restriktiven Covid-Kurs – analog seiner Zürcher Kollegin Natalie Rickli – abzulesen ist. Doch um unliberale SVP-Vertreter, deren es trotz des Kampfs für «weniger Staat» leider nicht wenige gibt, soll es hier nicht gehen, sondern um staatspolitische und rechtsstaatliche Grundsatzfragen.

Autoritärstaatliche Tendenzen

Dass Notrecht nach fast zwei Jahren massiver Grundrechtseinschränkungen in der Gesamtbevölkerung salonfähig ist, erstaunt wenig. Denn leider ist der Mensch nicht nur bei Tugenden, sondern auch bei Lastern ein Gewohnheitstier. Umso wichtiger ist der Grundsatz, dass es schon den Anfängen autoritärstaatlicher Tendenzen zu trotzen gilt.

Leider ist der Mensch nicht nur bei Tugenden, sondern auch bei Lastern ein Gewohnheitstier.

Covid, Energie, Ukraine – innert zweier Jahre ist Notrecht fast zum Normalfall geworden. Seit Anfang dieses Jahres kommt noch eine Asylnotlage dazu. Derzeit zum Unmut der Bürgerlichen, wenn Schweizer Bürger, die eigenverantwortlich ihr Geld verdienen, ihre Wohnung verlassen müssen, um Asylsuchenden Platz zu machen. Dies ist stossend, auch wenn es anzuerkennen gilt, dass aus der kriegsbetroffenen Ukraine tatsächlich nicht primär junge Männer einwandern, wie dies bei anderen Herkunftsländern oft der Fall ist, sondern das gesamte Spektrum der dortigen Bevölkerung.

Dass dies auf dem Wege des Notrechts geschieht, ist gleichwohl brandgefährlich. Denn je nach politischer Grosswetterlage kann Notrecht einmal benutzt werden, um Asylsuchenden zu helfen – ein anderes Mal indes, um einen sofortigen Asylstopp zu verfügen, wenn man der Meinung ist, «genug» Menschen aufgenommen zu haben. Dies würde bei den Linken ganz sicher zu einem ähnlichen Aufschrei führen wie gegenwärtig bei der SVP – und dies völlig zu Recht.

Eine Notlage liegt nicht dann vor, wenn Politiker dies behaupten, sondern müsste eigentlich nach juristischen Kriterien geprüft werden. Und wenn keine akute Gefahr für die eigene Bevölkerung besteht oder die Zeit nicht reicht, um eine Thematik im Parlament zu diskutieren, verbietet sich per definitionem jedes Notrecht der Regierung. Denn Notrecht hat es an sich, dass die Exekutive die Legislative übergeht, und dies muss die Ausnahme bleiben, wenn man sich zur Gewaltenteilung – Grundpfeiler jedes liberalen Rechtsstaates – ernstlich bekennt.

Einreichung einer Standesinitiative

Aufgrund der Erkenntnis, dass Corona notrechtlich kein Einzelfall war und Notrecht – egal, welcher Meinung man inhaltlich im jeweiligen Einzelfall selber ist – immer eine potenzielle Bedrohung für einen liberalen Rechtsstaat darstellt, sammelt im Kanton Zürich zurzeit ein Komitee Unterschriften für die Notrechtsinitiative. Diese verlangt mittels Einreichung einer Standesinitiative, dass künftig nicht nur kantonale, sondern auch nationale Notverordnungen des Bundesrats vor Gericht angefochten werden können.

Konkret müsste im Falle bundesrätlicher Notverordnungen das Bundesgericht als erste und einzige Instanz in der Regel innert dreier Monate nach Eingang der Beschwerde über die Rechtmässigkeit der Verordnung beziehungsweise einzelner Bestimmungen entscheiden. Das Initiativkomitee wird vom Autor dieses Beitrags präsidiert. Es besteht aus zwölf Personen aus den Reihen von SVP, FDP, GLP, Aufrecht, der Libertären Partei und aus parteilosen Juristinnen und Juristen. Die Unterschriften werden bis Ende März benötigt.

Artur Terekhov: ist Jurist aus Oberengstringen ZH und Komiteepräsident der Notrechtsinitiative. www.notrechtsinitiative.ch.