Die Themen Energieversorgung und Energiepreise erhitzen in Deutschland, der Schweiz und fast ganz Europa die Gemüter. Im Interesse des sozialen Friedens und der Erhaltung des Wohlstands erscheint es dringlich, Vernunft, Logik und allenfalls unangenehme wissenschaftliche Fakten in die Debatte einzubringen.

Energiesicherheit ist für jedes Land, vor allem aber für die Industrieländer, ein Eckpfeiler nationaler Sicherheit. Der in den USA im August 2022 von der Biden-Administration verabschiedete «Inflation Reduction Act» verspricht 369 Milliarden Dollar über zehn Jahre allein für Energiesicherheit, preiswerte Energie und Klimaschutz, was neben Kapazitäten für erneuerbare Energie den Erhalt und Ausbau von Kernkraftwerken einschliesst.

Kürzlich hat der Autor gemeinsam mit einem Freund («Nicht-Physiker») eine rund 1500 Kilometer lange Tour durch Südkalifornien und Südnevada unternommen, um einige der weltgrössten und bemerkenswertesten Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie zu besichtigen. Aus physikalischer Sicht ist das Adjektiv «erneuerbar» keine präzise Beschreibung. «Extern geliefert» oder «virtuell unerschöpflich» wäre faktisch zutreffender.

Zwischen Physik und Politik

Denn gemeint ist natürlich die durch die Kernfusion der Sonne von ihr als elektromagnetisch emittierte Strahlung auf die Erde treffende Energie. Sie kommt in Gegenden wie Südkalifornien bestenfalls mit rund 900 Watt pro Quadratmeter auf der Erdoberfläche an. Sie ist damit die Quelle für die von Menschen daraus unmittelbar in fotovoltaischen, solarthermischen, hydroelektrischen wie auch Windkraftanlagen gewonnene elektrische Energie. Die Sonne ist auch die Quelle – allerdings durch Millionen Jahre der Akkumulation von Sedimenten – für die chemische Energie von Kohle, Erdgas und Erdöl.

Beim Thema Energie geht es um Physik und Ingenieurwissenschaften. Fragen – im Rahmen der Mess- beziehungsweise Erfassungsgenauigkeit – sind also immer klar beantwortbar. Etwa: Was ist der Energieinhalt einer Autobatterie? Was ist die durchschnittliche tägliche Energie, welche die fotovoltaischen Zellen auf meinem Dach liefern? Wie und wie lange kann ich diese Energiemenge speichern?

Da geht es nicht um politische Einstellungen oder Meinungen. Aber irgendwann kommen diese Gesichtspunkte offensichtlich ins Spiel. Wenn eine wissenschaftlich, finanziell, ökologisch, ideologisch oder anderweitig motivierte technische Vision Vorrang erhält, sollten wenigstens folgende Fragen gestellt werden:

– Ist es technisch machbar?

– Was kostet es in Form von Geld?

– Ergibt es wirtschaftlich Sinn?

– Was sind die Kosten in Form von Kollateralschäden oder anderen Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt?

Kanzlerin Merkels Vorstellungen

Von grösster Bedeutung sind diese Fragen zurzeit mit Blick auf den «New Green Deal» der EU und die Energiewendediskussionen in Deutschland, die zum Ziel haben, die Energieversorgung radikal umzustellen und schnellstens CO2-Emissionen zu reduzieren (am besten auf null). Gewiss, die Abkehr von fossilen Brennstoffen wäre prinzipiell erstrebenswert, unter anderem weil der Vorrat endlich ist, weil Verbrennung Luftverschmutzung nach sich zieht und auch weil man gerade mit Erdöl andere wichtige Aufgaben wahrnehmen kann. Aber die genannten vier Fragen sind unumgänglich.

Beim Thema Energie begehen Nicht-Wissenschaftler und die Medien oft fundamentale Fehler. Besonders verbreitet sind die irrtümlichen Annahmen,

– dass der Verbrauch an Elektroenergie (pro Kopf, Land usw.) gleich dem Gesamtenergieverbrauch sei,

– dass ein elektrisches Netzwerk zur Stromversorgung nennenswerte Energiespeicherkapazitäten habe,

Durch den erhofften vollständigen Ersatz von Erdgas und Erdöl würde der Stromverbrauch merklich steigen.

– dass Wasserstoff eine Energiequelle anstatt ein Energieträger beziehungsweise Energiespeicher sei;

– dazu kommt, dass selbst Energie und Leistung nicht sauber unterschieden werden. So werden oft Kilowatt und Kilowattstunden verwechselt.

Wie weitverbreitet diese Irrtümer sind, illustriert die Tatsache, dass die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem (virtuellen) World Economic Forum am 26. Januar 2021 gegenüber der Weltöffentlichkeit behauptete: «Deutschland bezieht inzwischen mehr als 40 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen» (übersetzt aus dem Englischen). Die Rede lässt sich bis heute im Web nachlesen. Merkels Aussage ist in irreführender Weise falsch. 2016 betrug der Primärenergieverbrauch Deutschlands etwa 13,5 EJ = 13 500 PJ = 3750 TWh pro Jahr (Erklärungen zu den Masseinheiten siehe Kasten auf zur Story). Das entspricht einer durchschnittlichen permanenten Leistung von 428 Gigawatt (GW). Nur 1,8 EJ des gesamten Primärenergieverbrauchs sind «erneuerbar», nachzulesen im Bericht des Wirtschaftsministeriums 2019, zur Story.

Korrekt hätte Merkels Aussage also lauten müssen: 14 Prozent. Aufgeschlüsselt nach Energieart waren das: 3 Prozent aus Windkraft, sodann Fotovoltaik (1,3), Wasserkraft (0,5) solarthermisch (0,2). Der Rest stammte überwiegend aus Biomasse und Biokraftstoff. Und wie wichtig war Strom? Rund 680 TWh waren 2019 elektrische Energie, 18 Prozent des Gesamtverbrauchs.

Weiter mit Merkel: Da nach zwanzig Jahren «Energiewende» diese irrtümlichen 40 Prozent ja schon ganz gut zu sein schienen, fuhr sie am WEF mutig fort: «. . . haben wir unser europäisches Ziel für die CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 von 40 auf 55 Prozent erhöht . . . und werden bis 2050 klimaneutral! » (übersetzt).

Wie realistisch dieses heute überall uniform beschworene CO2-netto-null-2050-Ziel ist, wird im Folgenden betrachtet.

Fantastereien zum «Green New Deal»

Wie kann es sein, dass Redenschreiber und Berater der deutschen Kanzlerin eklatante Fehler nicht bemerken? Woher kommen solche Ideen? Eine mögliche Antwort mag darin liegen, wer ihre Berater waren. Der Autor wurde Zeuge, als am 19. Januar 2020 der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin an der DLD-Konferenz (Digital Life Design) in München den Vortrag «A New Green Deal for Europe» hielt. Rhetorisch eher im Stil eines amerikanischen Fernsehpredigers gehalten, gelang es Rifkin so, die Zuhörer zu fesseln. Nach einleitenden Ausführungen zum kurz bevorstehenden Massensterben und Weltuntergang verlangte er – erstaunlicherweise primär mit Blick auf Europa und Deutschland –, man müsse bis 2040 ohne fossile Brennstoffe und Kernenergie auskommen.

Er verstieg sich zu Bemerkungen, die suggerierten, dass das physische Stromnetz wie eine Art Internet betrieben werden könne. Wörtlich sagte er [14.36]:

– «Jetzt wird dieses digitalisierte Kommunikationsinternet mit einem digitalisierten Internet der erneuerbaren Energien [. . .]»

– «und sendet sie (die Energie) zurück in ein zunehmend digitalisiertes Energie-Internet [. . .] und bald ein Hochleistungs-Gleichstrom-Internet [. . .]»

– «unter Nutzung derselben Daten, derselben Analysen und Algorithmen, die wir zum Austausch von Nachrichten, Wissen und Unterhaltung im Kommunikationsinternet nutzen. Sie konvergieren» (übersetzt aus dem Englischen).

Rifkins Behauptungen sind technisch grober und gefährlicher Unfug. Sie basieren auf mindestens zwei Fehleinschätzungen: Erstens kann man elektrische Energie nicht in Paketen routen und vor allem nicht billig speichern (!) wie Bytes im «Daten-Internet». Dies sind physikalisch und technisch völlig andere Systeme.

Zweitens sind seine Aussagen bezüglich ökonomisch-finanzieller infliction points beim Unterschreiten des Preises erneuerbarer Energien im Vergleich zu fossiler beziehungsweise nuklearer Energie unvollständig, da nicht nur Marktkräfte wirken, sondern auch physikalische Grenzen erreicht werden. Wäre Rifkin mit diesen Aussagen zum amerikanischen Energieministerium gegangen, wäre ihm wohl sehr schnell die Türe gewiesen worden. Aber klar, er brüstete sich lieber damit, Berater sowohl der deutschen Kanzlerin [16.35] – «Als Angela Merkel Bundeskanzlerin Deutschlands wurde, bat sie mich, nach Berlin zu kommen [. . .] um ihr zu helfen [. . .] wie wir die deutsche Wirtschaft wachsen lassen können . . .» – als auch von Sigmar Gabriel zu sein – «Ich arbeite mit Sigmar Gabriel an diesem Übergang . . .» [28.38]. Und sogar der EU-Spitze [39.36]: «Wie können wir die Regionen dazu bringen, dies zu tun? Ursula von der Leyen ist meiner Meinung nach grossartig, und ich glaube, dass sie uns dabei helfen wird, denn als sie den Green Deal ankündigte, sagte sie: ‹Seien Sie sich im Klaren, ich habe sieben Kinder. Wir werden das tun›» (übersetzt aus dem Englischen).

Wie kann jemand anscheinend ohne relevantes wissenschaftlich-technisches Grundwissen massgeblicher Berater führender deutscher und anderer europäischer Politiker sein?

Zeitgleich hat der Fachbereich Physik der Universität Heidelberg seit Jahren einen offenen Brief zum bisher eher dürftigen Erfolg der deutschen «Energiewende» auf seiner Website, der wissenschaftlich fundiert ist, aber von der Politik weitestgehend ignoriert wird.

Das Land derart vollzustellen, dürfte mit geltendem Baurecht nicht vereinbar sein.

Gebündeltes Sonnenlicht

Nun aber zurück in die USA. Bei knapp 30 Grad Celsius betraten wir Ende September 2022 das Gelände des «Ivanpah Solar-Thermal Power Plant» in der Wüste von Südkalifornien – eine sowohl optisch als auch technisch absolut beeindruckende Leistung: Die solarthermischen Kraftwerke wie «Ivanpah» sind im industriellen Massstab eine effiziente und relativ nebenwirkungsarme Methode, solare Strahlung in Elektrizität umzuwandeln. Eine Vielzahl von Spiegeln leitet das Sonnenlicht auf den Kollektor an der Turmspitze. Kombiniert mit flüssigem Salz als thermischem Energiespeichermedium erreicht man einen Betrieb zumindest bis weit in die Nacht hinein hin.

Die Bausumme betrug 2,2 Milliarden Dollar, massgebliche Unterstützung kam vom US-Energieministerium. Die Anlage leistet maximal 400 MW (elektrisch) und produziert im Jahr durchschnittlich 856 GWh, das sind 3,1 PJ. Zum Vergleich: Der gesamte Energiebedarf der USA liegt bei etwa 109 EJ oder 109 000 PJ. Man bräuchte also 35 000 «Ivanpah»-Anlagen zur Deckung des Verbrauchs der USA. Bei einem Flächenbedarf von 14 Millionen Quadratmetern pro Anlage (3,7 mal 3,7 km) ergäbe das total eine Fläche von 700 mal 700 Kilometern.

Zumindest theoretisch (abgesehen von den Kosten von rund 2,2 Milliarden Dollar mal 35 000, also 77 Billionen Dollar oder dreimal das jährliche US-BIP) könnte man dies in den USA durchaus realisieren und einen nennenswerten Teil der Wüsten im Südwesten der USA (in Kalifornien, Arizona, Nevada, New Mexico, Texas) dafür verwenden. Vermutlich liesse sich der Platzbedarf pro Anlage noch etwas verringern. Deutschland, das 13 500 PJ Gesamtbedarf an Energie hat, würde «nur» etwa 4300 solcher Anlagen brauchen – sofern sie in günstigen Gebieten wie etwa Nordafrika stünden. Und selbst dann käme dies mit 2,2 Milliarden Dollar mal 4300 auf rund 9,5 Billionen Dollar oder etwa das doppelte des deutschen BIP.

Denn im Südwesten der USA ist die Sonneneinstrahlung mit 7 bis 8 kWh pro Quadratmeter und Tag weitaus stärker als in Deutschland, wo sie – sehr stark jahreszeitabhängig – nur etwa 2,5 kWh pro Quadratmeter und Tag ausmacht. Der Standort Deutschland bräuchte also wahrscheinlich wenigstens 20 000 «Ivanpahs» und unter Berücksichtigung jahreszeitlicher Schwankungen von 1:4 eher 40 000 oder noch mehr. Das ist natürlich völlig unpraktikabel. Das Land wäre komplett zugestellt. Und ohne Langzeit-Energiespeicher funktioniert dies ohnehin nicht.

Fotovoltaische Heizplatte

Und wie steht es um die vielgepriesene Fotovoltaik, auf die man in Europa baut? Erkenntnisse aus unserer Amerikaexpedition: Fotovoltaische Anlagen sind zwar in der Anschaffung inzwischen relativ billig und auch sehr einfach zu betreiben, nutzen aber die Fläche nur mässig effizient. Die besichtigte «Copper Mountain Solar Facility 1 – 4» in Nevada hat eine Maximalleistung von 805 MW und produziert jährlich eine elektrische Energie von etwa 1300 GWh, das sind 4,7 PJ. Mit 104 000 PJ/4,7 PJ entspricht das 0,004 Prozent des jährlichen Gesamtenergiebedarfs der USA.

Man bräuchte somit etwa 23 000 solcher Anlagen. Und das unter den vorteilhaften klimatischen Bedingungen des Südwestens der USA, das heisst mit solarer Einstrahlung von 7 bis 8 kWh pro Quadratmeter und Tag.

Ironischerweise ist einer der unerwünschten Nebeneffekte von grossen fotovoltaischen Anlagen, dass sie zur lokalen und so indirekt globalen Erwärmung beitragen. Wenn man relativ gut reflektierende helle Wüstenoberflächen mit dunklen, fast schwarzen Zellen abdeckt (ähnlich einer Asphaltstrasse), welche die ankommende Strahlungsenergie nur zu einem Bruchteil – typisch etwa 15 bis 20 Prozent – in Elektrizität umwandeln, wird der verbleibende Strahlungsenergieanteil in Wärme umgewandelt. Die Stromerzeugung ist dann eigentlich ein Nebeneffekt.

De facto sind derzeitige reine fotovoltaische Kraftwerke (ohne Wasserkühlung und Nutzung der Wärme), wie zum Beispiel die «Copper Mountain Solar Facility», primär solarthermische Wandler, also eine gigantische Heizplatte für die Umgebung. Eine fotovoltaische 200-MW-Solarfarm produziert etwa 800 MW Wärme. Ob dieser Effekt eventuell sogar grösser ist als der durch CO2 beziehungsweise Russemission bei Verbrennung einer äquivalenten Menge Kohle oder Öl entstehende, wäre einmal genau zu berechnen. Diesen Nachteil haben die vorher beschriebenen solarthermischen Anlagen wie «Ivanpah» nicht.

Enormer Flächenbedarf

Nochmals: In Mitteleuropa hat man mit deutlich weniger solarer Einstrahlung auszukommen. In Deutschland und der Schweiz auf geringen Höhen sind das etwa 2,5 kWh Strahlungsenergie pro Quadratmeter und Tag Jahresdurchschnitt. Dabei nimmt man sogar an, dass die Panels da zweiachsig aktiv auf die Sonne ausgerichtet werden. Bei 20 Prozent Umwandlungseffizienz von fotovoltaischen Zellen braucht man zwei Quadratmeter Fläche für eine Kilowattstunde elektrischer Energie pro Tag.

Also würde man, so die Rechnung für Deutschland, 430 GW mal 24 Stunden, dividiert durch 0,5 kWh pro Quadratmeter pro 24 Stunden brauchen, das ergibt gerundet 21 Milliarden Quadratmeter oder 21 000 Quadratkilometer Gesamtfläche: ein Quadrat von 146 mal 146 Kilometer – ohne Zufahrtswege. Berücksichtigt man die starken jahreszeitlichen Strahlungsschwankungen von 1:4 (Winter zu Sommer), ist aber praktisch deutlich mehr nötig, mindestens das Doppelte, was 42 000 Quadratkilometer hiesse. Es dürfte unmöglich sein, so viel ungenutztes Land und entsprechende Oberflächen zu finden. Auch ist die Verfügbarkeit mehrerer Milliarden Zwei-Achsen-Tracking-Systeme wahrscheinlich ein Problem.

Südlich gelegene, menschenleere Wüstenregionen in den USA, Nordafrika, im Nahen Osten und in China sind eben deutlich vorteilhafter in Bezug auf die eintreffende Strahlungsenergiemenge. Aber wie vorher schon angetönt: Ohne Technologie zum Speichern von Energie über Zeiträume im Bereich von Wochen ist Fotovoltaik über einen gewissen Anteil hinaus nicht praktikabel.

Man baut daher derzeit in Kalifornien das «Edwards & Sanborn Solar and Energy Storage System», das ist der weltweit grösste Akkumulator mit 3320 MWh oder 3,3 GWh elektrischer Speicherkapazität. Das ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, repräsentiert aber mit 0,011 PJ nur einen Tropfen auf den heissen Stein, denn das sind lediglich 0,004 Prozent des täglichen Gesamtenergieverbrauchs der USA.

In Deutschland bräuchte man bei einem täglichen Gesamtenergieverbrauch von 10,3 TWh etwa 3090 solcher Anlagen. Zum Speichern der zurzeit landesweit an einem einzigen Tag verwendeten elektrischen Energie von gut 1,8 TWh also etwa 564 solcher Anlagen. Heute liegt der Stückpreis bei einer Milliarde Dollar. Bis 2050 wäre alle achtzehn Tage eine Einheit zu bauen. Aber selbst das würde eben nicht reichen: Durch den erhofften vollständigen Ersatz von Erdgas und Erdöl würde der Stromverbrauch ja merklich steigen, etwa auf das Vier- bis Fünffache.

Beim Thema Energie begehen Nicht-Wissenschaftler und die Medien fundamentale Fehler.

Blicken wir auf die klassische Version der erneuerbaren Energieformen, die Wasserkraft. Hydroelektrische Kraftwerke haben zwei ganz entscheidenden Vorteile: Sie haben wochenlange Energiespeicherfähigkeit quasi eingebaut, und sie liefern leicht dem Bedarf anpassbare Leistung während 24 Stunden am Tag. Allerdings verwandeln sie viel Landfläche in Seen, und es fliessen nicht annähernd genug Flüsse auf der Welt, um die Menschheit so mit Energie zu versorgen. Dies trifft konkret auf die USA wie auch auf die Schweiz und Deutschland zu.

Vergleichsweise verlässlich

Der Hoover-Damm am Colorado-Lauf in den USA ist sozusagen ein Klassiker; er hat historisch gesehen pro Jahr zwischen 2500 und 10 000 GWh produziert, typisch sind 4200 GWh, das sind 15 PJ. Durch die Verringerung der Wassermenge im aufgestauten Lake Mead verringert sich inzwischen die Leistung. Die USA bräuchten zur vollen Energiedeckung somit etwa 109 000 PJ/15 PJ = 7200 Hoover-Dämme.

Der Fluss Colorado und der Rhein sind vom Durchfluss etwa vergleichbar. Wenn man den Rhein zum Beispiel an der Loreley auf 200 Meter Höhe stauen würde – was aufgrund der dann unter Wasser gesetzten Fläche völlig undenkbar ist –, hätte man etwa einen Hoover-Damm. Deutschland bräuchte 13 000 PJ/15 PJ, ergibt 866 davon. Dies ist physikalisch unmöglich.

Zu guter Letzt bleiben als «Erneuerbare» noch die Windkraftanlagen. Diese können theoretisch zwar viel: 24 Stunden am Tag Strom liefern. Sie tun dies aber auf stark variable Art und Weise. Vergleichsweise verlässlich ist Windenergie in Gegenden, wo Wüstenregionen in der Nähe des Meeres liegen. Die «San Gorgonio Pass Wind Farm», die wir auf unserer Reise in Kalifornien besichtigt haben, hat eine Maximalleistung von 615 MW und produziert jährlich elektrische Energie von 1300 GWh. Das sind 4,7 PJ, also ebenfalls wie bei Fotovoltaik 0,004 Prozent des jährlichen Gesamtenergieverbrauchs der USA.

Selbst wenn man alle Windfarmen in Kalifornien kombiniert, produzieren diese derzeit 15 170 GWh, das sind 15,2 TWh oder 50 PJ pro Jahr. In andern Worten nur 0,045 Prozent des Energiebedarfs der USA. Allerdings hat die USA, vor allem im Südwesten, sehr grosse unbesiedelte und landwirtschaftlich kaum nutzbare Flächen, die einen weiteren Ausbau ermöglichen. Dies dürfte in Mitteleuropa vergleichsweise schwierig sein.

Windkraftanlagen sind an sich ideal für sonnenarme mittel- und nordeuropäische Verhältnisse. Allerdings ist nur an guten Punkten in Deutschland die durchschnittliche Leistung etwa ein Drittel der Maximalleistung. Wenn man also die von Deutschland durchschnittlich permanent verbrauchte Leistung von rund 430 GW mit modernen 6-MW-Windrädern erzeugen wollte, hätte man folgendes Problem: Da nur die besten Standorte für Windkraftanlagen das Ein-Drittel-Leistungsverhältnis bieten, sei auf der restlichen Fläche ein Verhältnis von Durchschnitt zu Maximalleistung von einem Viertel angenommen, also durchschnittlich 1,5 MW. Ferner sei angenommen, dass 50 Prozent der Fläche nicht nutzbar sind durch Gebirge, Flüsse, Industrieanlagen, Städte, Flugplätze und so weiter. (In der Schweiz wäre der relative Anteil nutzbarer Fläche sicherlich noch geringer.)

Daher bräuchte man in Deutschland 430 Milliarden Watt/1,5 Millionen Watt, das sind 287 000 jeweils knapp 200 Meter hohe Windräder. Die Hälfte der Fläche Deutschlands misst rund 180 000 Quadratkilometer (424 mal 424 km), also hat man 0,63 Quadratkilometer pro Windrad. Sofern man kartesisch aufstellt, bekommt man damit 790 Meter Abstand – in alle vier Himmelsrichtungen. Das Land derart vollzustellen, dürfte mit geltendem Baurecht, geschweige denn mit der allgemeinen Akzeptanz bei der Bevölkerung, nicht vereinbar sein. Offshore-Anlagen können partiell die Situation etwas erleichtern, aber nicht das Problem lösen.

Und der Zeitdruck wäre enorm: Bis zum Jahr 2050 verbleiben 9855 Tage; sagen wir 10 000. Also müssten pro Tag 29 Windräder produziert und in Deutschland installiert werden.

Aber, wie gesagt, selbst wenn dies machbar wäre, ist es immer noch komplett illusorisch, so lange es keine Technologie gibt, die derartige Energiemengen über Zeiträume im Bereich von wenigstens mehreren Wochen speichern kann.

Enttäuschte Hoffnung in die Autoflotte

Manche träumen davon, offenbar auch Jeremy Rifkin, dass durch komplette Elektrifizierung der Fahrzeugflotte diese Speicherwirkung im elektrischen Netz erreicht werden kann. Aber auch das dürfte schwierig werden. Bei 130 kWh Verbrauch pro Person und Tag und beispielsweise selbst nur zwei Wochen gewünschter Speicherzeit erfordert dies 1820 kWh – pro Person. Wenn man 100 kWh Speicherkapazität pro Autobatterie annimmt, ergibt dies achtzehn Tesla-S pro Bürger allen Alters. Eine Flotte von etwa 1,5 Milliarden Fahrzeugen – und das nur für Deutschland. Alleine durch Lithiumbedarf und -preis ist dies also komplett illusorisch.

Dagegen kann ein einziges 2-GW-Atomkraftwerk im Jahr (angenommen fünf Tage Wartungszeit) in der Tat 2 GW mal 24 Stunden mal 360 = 17 300 GWh und damit 62 PJ liefern – mehr als alle Windparks in Kalifornien. Um CO2-neutral zu werden, könnte man also in Deutschland bis 2050 zu den bestehenden erneuerbaren Energiequellen in den verbleibenden 27 Jahren 180 Atomkraftwerke von je etwa 2 GW Leistung bauen, das würde heissen: etwa alle 1,8 Monate ein Atomkraftwerk. Ist das realistisch? Als langfristiges Ziel (bis Ende des Jahrhunderts) ist dies zumindest nicht völlig absurd. Sicherlich würde der Platz ausreichen und es gäbe keine Energiespeicherprobleme – dies unter der Annahme, dass genug spaltbares Material verfügbar ist.

Die hier dargelegten Relationen scheinen zumindest in den USA einigen Verantwortlichen klar zu sein. Die USA sind ohnehin bereits das Land mit der grössten installierten Leistung von Kernenergie, etwa 95 GW. Damit ist Kernenergie in den USA die grösste Quelle von «Clean Energy», welche die Emission von zirka 400 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr vermeidet, was etwa den Emissionen von hundert Millionen Autos entspricht.

Derzeit sind weltweit 440 industrielle, also zur Energiegewinnung verwendete, nukleare (Spalt-)Reaktoren in Einsatz und erzeugen eine elektrische Gesamtleistung von 394 GW. Dies entspricht somit knapp dem gesamten Leistungsbedarf von Deutschland. Zahlreiche Industrienationen – die USA, China, Japan, Südkorea, Frankreich, Russland – sind gegenwärtig dabei, neue Generationen von Nuklearreaktoren zu entwickeln und zu bauen. Dies betrifft sogenannte GenIII+-Reaktoren, Reaktoren, die bisher als «Nuklearabfall» betrachtetes Material zur thermischen/elektrischen Energiegewinnung nutzen können. (Siehe Artikel zur Story.)

Die Innovationen betreffen sowohl eine neue Generation von «Mikroreaktoren», die Leistungen im Bereich von 1 bis 10 MW liefern, als auch von kleineren modularen Reaktoren, deren Leistung im Bereich von 10 bis 100 MW liegt.

Technologieland USA

Alleine in den USA arbeiten mindestens zwanzig Firmen an solchen Reaktortypen. Zahlreiche weitere Staaten haben in den letzten Jahren neue Reaktoren gekauft und in Betrieb genommen und planen weitere Anschaffungen in diesem Jahrzehnt. Die geplanten elektrischen Kapazitäten sind wie folgt verteilt: China (20,6 GW), Indien (6), Südkorea (4), Türkei (3,3), Grossbritannien (3,2), Vereinigte Arabische Emirate (2,7), Japan (2,6), Russland (2,6), USA (2,2), Bangladesch (2,1).

Das US-Handelsdepartement schätzt den Exportmarkt für Nuklearreaktoren auf 500 bis 740 Milliarden Dollar innerhalb der nächsten zehn Jahre. Diesbezügliche staatlich gesponserte Entwicklungen neuer Kernreaktoren in Russland und China werden als Bedrohung der amerikanischen nationalen Sicherheit eingestuft, und man sucht den Einfluss russischer und chinesischer Konkurrenten im Weltmarkt zu reduzieren. Russland hat zurzeit ausländische Aufträge in Höhe von 133 Milliarden Dollar zum Bau von mehr als fünfzig Reaktoren in neunzehn Ländern. China baut derzeit vier Reaktoren im Ausland (16 sind geplant) und hat innerhalb der letzten 33 Jahre im Inland 45 neue Reaktoren gebaut.

Warum hat Deutschland nicht diese Aufträge und den daraus resultierenden Umsatz bekommen? Deutschland ist die einzige führende Industrienation, die diese Entwicklungen ignoriert. Die Konsequenzen für die Wirtschaft, die Wissenschaft und indirekt für den Wohlstand und sozialen Frieden sind potenziell katastrophal.

 

Hinweise zu den verwendeten Masseinheiten und Grössenordnungen: Kilo (k) = 1000; Mega (M) = 1 Million; Giga (G) = 1 Milliarde; Tera (T) = 1 Billion = 1 Million x 1 Million; Peta (P) = Billiarde = 1 Million × 1 Milliarde; Exa (E) = Trillion = 1 Milliarde × 1 Milliarde.

Ferner sei daran erinnert, dass man Energie im Allgemeinen aber vor allem in Form von thermischer oder chemischer Energie mit der Einheit Joule (J) ausdrückt. Elektrische Energie wird mit der Einheit Wattsekunden (Ws) beziehungsweise einem Vielfachen davon ausgedrückt, zum Beispiel 1 kWh = 1000 W × 3600 s = 3,6 MWs = 3,6 MJ. Der Vorteil des Si-Systems ist es, dass 1 Joule = 1 Ws ist.

Dr. Andreas Hieke, Physiker, ist Gründer und Inhaber von Themis Scientific, LLC. Auf Einladung eines Nobelpreisträgers baute er an der Stanford University, School of Medicine, ein von ihm erfundenes physikalisches Instrument zum Sequenzieren von Proteinen.